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Der Marschenmörder

Der Marschenmörder

Titel: Der Marschenmörder
Autoren: Werner Brorsen
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sich keinen Deut um die noch ausstehende Entscheidung Seiner Königlichen Majestät.
    Giehlow weiß, dass er sich mit seinem Aktionismus aufs Glatteis begibt und sich der Schadenfreude seiner Untergebenen aussetzt, falls der Preußenkönig den Verurteilten begnadigt. Auch ist ihm bekannt, dass Wilhelm I., den seine Anhänger in grenzenloser Bewunderung vorschnell den Großen nennen, staatliche Gewalt verabscheut.
    Vorsorglich beauftragt er deshalb Staatsanwalt Braun, die Meinung des Propsten Ernst Versmann einzuholen. Umgehend wendet sich dieser an:
    Hochwürden mit der Bitte um ein Gutachten, ob der Verurteilte zu Reue und Buße zu bekehren und auf solche Gemütsänderung die Vollstreckung aufzuschieben sei, oder ob vom seelsorgerischen Standpunkt aus die Strafe ohne Verzug zur Vollstreckung gebracht werden könne.
    Zwei Tage später kann Braun dem Oberstaatsanwalt melden:
    Auch sein Seelsorger Probst Versmann hat sich in dem gehorsamst überreichten Gutachten nicht für die Hinausschiebung oder Abänderung der Strafe erklären können.
    Das klingt eher abwägend und verrät nicht die eindeutige, pragmatische Einstellung des Geistlichen:
    Das ganze Land fordert, soviel mir zu Kunde gekommen ist, einmütig die Vollziehung des Urteilsspruches. Je eher die Letztere zur Vollstreckung gebracht ist, desto schneller werden die durch die Tat noch immer aufgeregten Gemüter beruhigt werden.
    Das gibt dem Kieler Ehrgeizling Auftrieb. Er beauftragt Staatsanwalt Braun, sich zunächst auf die Kreisstadt Itzehoe als Standort der Hinrichtung zu konzentrieren. Dort erklärt sich ein Zimmermeister namens Vogt bereit, für 70   Taler einen 100   Fuß langen und 80   Fuß breiten Bretterzaun zu errrichten, der keinen Durchblick ermöglicht. Denn die Zeit öffentlicher Hinrichtungen gehört in Preußen seit Jahren der Vergangenheit an. Meister Vogt verpflichtet sich überdies, ohne Preisaufschlag ein Schafott herzustellen.
    Doch die Itzehoer Ratsversammlung, aufgeschreckt durch den Wirbel um den Thode-Prozess, stellt sich geschlossen gegen das Ersuchen. Sie teilt der Staatsanwaltschaft gehorsamst mit, es gebe in der Stadt keinen geeigneten Platz. Und verschweigt geflissentlich den Holzkamp, die Malzmüllerwiesen, den Ochsenmarktskamp.
    Auch die Rendsburger, an die sich Braun anschließend wendet, stellen sich quer, wollen ihren prächtigen Paradeplatz nicht durch die Hinrichtung eines Massenmörders besudeln.
    So bleibt dem Vorplaner aus Kiel nur das Glückstädter Zuchthaus, dessen zweiter Innenhof ein geschlossenes Viereck bildet. Das Oberinspectorat leistet mit Hinweis auf die zu erwartende beträchtliche Unruhe unter den Züchtlingen passiven Widerstand. Dem setzt Giehlow die Anordnung entgegen, die Gefangenen für den Zeitraum der Vollstreckung aus den Zellen zu entfernen und im Speisesaal einzusperren. Des Weiteren schlägt er vor, durch Hinzuziehung militärischer Effiziens Sorge zu tragen, dass Aufregung unter den Züchtlingen nicht zu Ausschreitungen führt.
    Um weiterem Widerstand die Spitze zu brechen, erinnert Giehlow Inspector Plambeck, den Leiter der Strafanstalt, daran, dass im Innenhof bis 1843 zahlreiche Hinrichtungen erfolgt seien.
    Jetzt könnte sich Giehlow eine Verschnaufpause gönnen. Der Standort für den letzten Akt des Thode-Dramas ist gesichert. Die Vorbereitungen laufen, wenn auch noch immer unter dem Vorbehalt der Allerhöchsten Bestätigung.
    Der König lässt sich Zeit. Und Giehlows Geduld wird auf die Folter gespannt. Zumal sich ihm ein weiteres, unerwartetes Problem in den Weg stellt, das ihn vollends der Nachtruhe beraubt: Weit und breit findet sich kein geeigneter Vollstrecker.
    Der Beruf des Scharfrichters, durchweg verbunden mit dem Privileg des Betreibens einer Abdeckerei und durch Generationen vom Vater auf den Sohn vererbt, ist nahezu ausgestorben. Daran hat auch die Wandlung Schleswig-Holsteins in eine preußische Provinz nichts geändert. Nicht zimperlich, politische Probleme blutig zu lösen, hält sich die Regierung fast ängstlich zurück, wenn es um die Vollstreckung von Todesurteilen geht.
    Gepackt von zorniger Ungeduld, lässt Giehlow im gesamten Königreich nach einem Scharfrichter suchen. Und wird immer wieder enttäuscht durch negative Auskunft: Verstorben. Ausgewandert. Beruf gewechselt. Unbekannt verzogen.
    In Altona wird der mit der Suche beauftragte Staatsanwalt Braun schließlich fündig. Der bejahrte Scharfrichter Döring legt seiner Zusage eine Kostenrechnung über 461  
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