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Der Marschenmörder

Der Marschenmörder

Titel: Der Marschenmörder
Autoren: Werner Brorsen
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zu. Die beiden Soldaten, links und rechts von ihm, treten zur Seite. Bevor jedoch der Henkersknecht ihn erreicht, hat Timm Weste und Hemd abgestreift und steht mit nacktem Oberkörper vor ihm.
    Blitzschnell sind die beiden anderen zur Stelle, fesseln mit geübten Griffen Hände und Füße. Sie wissen, jede Minute zählt. Oft genug haben sie erlebt, dass Delinquenten unmittelbar vor dem Ende ausrasteten, um sich schlugen, gewaltsam zum Block geschleift werden mussten.
    Timm kniet sich ohne ihr Zutun auf die vor dem Richtblock ausgebreitete Decke. Einer der Helfer drückt seinen Kopf seitlich auf die Oberfläche, der zweite spannt einen breiten, am Block befestigten Gurt über den Hinterkopf.
    „Im Namen des Gesetzes!“ Der Scharfrichter hebt mit beiden Händen das fünf Kilo schwere Beil. Der Schlag ist so kraftvoll, dass die Klinge tief im Holz stecken bleibt.
    Atemlose Stille. Und wie aus unergründlicher Ferne Versmanns tiefe, wohltönende Stimme:
    … vergib uns unsere Schuld wie auch wir vergeben unseren Schuldigern. Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Übel. Denn Dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.
    Bekanntmachung
    Nachdem der Hofbesitzerssohn Timm Thode aus Groß Campen, welcher am 7.   August 1866 daselbst seine Eltern, seine vier Brüder, seine Schwester und die Dienstmagd ermordet und danach das seinem Vater gehörige Wohnhaus und die dazu gehörige Scheune vorsätzlich in Brand gesteckt hat, auch schon früher, im Juni 1864, zu Krummendiek vorsätzlich das dem Müller Lembke gehörige Wohnhaus eingeäschert hatte, durch Erkenntnis des Königl. Schwurgerichts zu Itzehoe wegen achtfachen Mordes und wiederholter Brandstiftung zum Tode verurteilt worden ist und nachdem Se. Majestät mittels Allerhöchsten Confirmationsrescripts vom 7.   April 1668 geruht haben, der Gerechtigkeit freien Lauf zu lassen, ist heute morgen um 6.30   Uhr die Todesstrafe an dem Verurteilten auf dem Hofe der Strafanstalt zu Glückstadt durch Enthauptung mittels des Beiles vorschriftsmäßig vollstreckt worden.
    Itzehoe, den 13.   Mai 1868.
    Der Königl. Staatsanwalt.

Schlussbetrachtung
    Wie schreibt man einen Kriminalroman? Die Frage stellte sich mir nicht, bevor „Der Marschenmörder“ entstand. Vielmehr hat sich der Krimi um Timm Thode unabsichtlich aus einer Zeitungskolumne entwickelt. Nach gut 100   Folgen durchweg heiterer Kurzgeschichten, die unter dem Titel „Brorsens Welt“ wöchentlich in den Elmshorner Nachrichten erschienen, beschloss ich, die Leser zur Abwechslung einige Wochen lang zum Gruseln zu bringen.
    Einen Stoff musste ich nicht lange suchen. Seit meiner Kindheit ist mir die Mordgeschichte aus der Wilstermarsch nicht mehr aus dem Sinn gegangen. Zu oft hatte meine Großmutter (geb. Thode) von jenem „um drei Ecken Verwandten“ erzählt, der Eltern, Geschwister und (fälschlicherweise) die „Neihkatrin“ umbrachte, um an das väterliche Erbe zu gelangen.
    Auch war die Idee, sich mit dem Jahrhundert-Verbrechen näher zu befassen und darüber in irgendeiner Form zu berichten, nicht neu. Vor etwa 15   Jahren erwog ich, das Thema für ein plattdeutsches Theaterstück zu verwenden. Ich nahm Verbindung zu Dr.   Fritz Treichel auf, dem Glückstädter Heimatforscher, der 1991 in dem vom Heimatverband für den Kreis Steinburg herausgegebenen „Steinburger Jahrbuch“ eine Abhandlung über das Verbrechen veröffentlicht hatte, stellte dann das Vorhaben ein in der Erkenntnis, dass diese Geschichte im niederdeutschen Theater kaum eine Chance hätte, abgesehen von dramaturgischen Problemen.
    Blieb also meine Kolumne, die kurzerhand für fünf bis sechs geplante Folgen in „Brorsens Unterwelt“ umbenannt wurde. Beim Recherchieren stellte ich jedoch fest, dass der Fall Thode in dieser Kürze nur sehr gerafft und holzschnittartig dargestellt werden kann. Und so wuchs die Kolumne auf 69   Folgen an und mit ihr die Grundfassung für den „Marschenmörder“.
    Bei weiteren Nachforschungen erwies sich das Landesarchiv in Schleswig als unschätzbare Fundgrube. Dort sind in 14   Bänden die Morde, die Brandstiftungen, ihre mühselige Aufklärung und das Ende des Täters unter dem Beil des Scharfrichters in 140   Jahre alten Originalakten mit Schreibfeder oder Bleistift zu mittlerweile leicht vergilbtem Papier gebracht.
    Näher als beim Studium dieser Akten kann man dem Fall Thode nicht kommen. Besonders beklemmend spürte ich dieses bei der Lektüre
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