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Der Marschenmörder

Der Marschenmörder

Titel: Der Marschenmörder
Autoren: Werner Brorsen
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umfassende Geständnis des Angeklagten nach meiner Überzeugung eine weitere Beweisführung erübrigt, stelle ich den Antrag, auf die Vernehmung der Zeugen zu verzichten.“
    Staatsanwalt Braun stimmt zu. Das Hohe Gericht sieht ebenfalls keinen Anlass, auch nur einen Zeugen zu vernehmen.
    „Noch Fragen an den Angeklagten?“ Vorsitzender Krah blickt zum Ankläger, zum Verteidiger. Kopfschütteln. „Gut. Dann schließe ich die Beweisaufnahme. Und bitte um das Plädoyer des Herrn Staatsanwalt.“
    Timms Geständnis, seine Abrechnung mit sich selbst, gibt Braun die Stichworte für sein Plädoyer. Aus dem Stegreif entwirft der Ankläger mit grobem Strich die Karikatur eines eiskalten Massenmörders, bar allen Mitleids und jeglicher Reue. Und fordert als einzig adäquate Antwort der Rechtsordnung auf ein bislang unvorstellbares Verbrechen die Todesstrafe.
    „Ihr Plädoyer.“ Stirnrunzelnd stellt der Vorsitzende fest, das der Verteidiger nicht reagiert, gedankenverloren in einer Akte blättert.
    „Herr Verteidiger! Ihr Plädoyer!“
    Borstel blickt kurz auf. „Ich verzichte.“
    Unruhe unter den Zuhörern.
    „Ich erbitte mir absolute Ruhe. Ansonsten lass ich den Saal räumen.“ Krahs Stimme klingt gereizt, warnend.
    Borstel fügt erklärend hinzu: „In Übereinstimmung mit meinem Mandanten.“ Er ist sich sicher, mit Timms Zustimmung zu handeln, der offensichtlich keinen Wert legt auf verkrampftes Suchen nach Milderungsgründen oder entlastenden Indizien.
    Krah wendet sich an Timm: „Ihnen steht nach der Prozessordnung das letzte Wort zu. Haben Sie noch etwas zu Ihrer Verteidigung vorzubringen?“
    „Sagen Sie wenigstens, wie Leid es Ihnen tut. Äußern Sie ein Wort des Bedauerns“, flüstert Borstel hastig.
    Timm erhebt sich mühsam, blickt den Vorsitzenden müde an: „Ich habe nichts zu meiner Verteidigung vorzubringen.“
    Und Krah verkündet: „Das Gericht zieht sich zur Beratung zurück.“
    Noch einmal steigt die Spannung, als die fünf Richter nach knapp zweistündiger Pause den Saal betreten. Wieder blickt Vorsitzender Krah prüfend in die Runde. Entdeckt keine Kopfbedeckung, kein offenes Jackett. Niemanden, der durch Nachlässigkeit in Kleidung oder unziemliches Benehmen die Würde des Gerichts verletzt.
    IM NAMEN DES KÖNIGS
    In der Untersuchungssache wider den Hofbesitzerssohn Timm Thode aus Groß Campen wegen mehrfachen Mordes und wiederholter Brandstiftung hat der Königliche Schwurgerichtshof zu Itzehoe für Recht erkannt: dass der angeklagte Hofbesitzerssohn Timm Thode aus Groß Campen wegen mehrfachen Mordes und wiederholter Brandstiftung mit dem Tode zu bestrafen ist und ihm die Kosten des Verfahrens zur Last zu legen sind.
    Nur wenige Minuten braucht Krah für die mündliche Urteilsbegründung. Nüchtern fasst er die Anklagepunkte zusammen, die ausnahmslos durch das Geständnis des Angeklagten bestätigt wurden. Und verkündet am Schluss: „Die Sitzung ist geschlossen.“
    Krah schaut zufrieden zur Uhr. Auf die Minute sechs Stunden hat das Schwurgericht gebraucht, das schwerste Verbrechen zu sühnen, über das je in diesem Land Gericht gehalten wurde. In der Tat, ein Rekord, der in die Annalen der Justiz eingehen wird.
    In der Beratungspause erinnerte Kreisrichter Rave, einer der Beisitzer, an die Verhandlung gegen den Schneidermeister Delfs, der sich vor einigen Wochen wegen ungebührlichen Verhaltens gegen einen Offizier verantworten musste. Volle fünf Stunden brauchte das Kreisgericht, um den Glückstädter am Ende für zwei Monate ins Gefängnis zu schicken.
    Zögernd verlassen die Leute den Saal. Unzufrieden scheinen sie. Mit dem Urteil? Sicher nicht. Eher mit der Kürze der Verhandlung, von der mancher dramatische Szenen und Tumulte erwartet haben mag.
    Manche werfen einen neugierigen oder auch schadenfrohen Blick auf Timm, noch vor Minuten Angeklagter, nun ein Todeskandidat, der dieses scheinbar mit stupider Gelassenheit erträgt.
    Das täuscht. Er ist leergebrannt. Wie ein Todkranker, der jeden Widerstand gegen das nahe Ende aufgegeben hat.
    Verteidiger Borstel tritt zu ihm: „Eine Chance haben wir noch: Ohne die persönliche Bestätigung durch Seine Majestät wird kein Todesurteil vollstreckt.“
    Timm lächelt bitter: „Seine Majestät wird sich hüten, mich zu begnadigen.“
    30
    Sämtliche Vorbereitungen zur Exekution hat Oberstaatsanwalt Giehlow an sich gerissen. Ohne persönlich auf den Plan zu treten, arrangiert er von Kiel aus auch kleinste Nebensächlichkeiten und schert
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