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Der Marschenmörder

Der Marschenmörder

Titel: Der Marschenmörder
Autoren: Werner Brorsen
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Taler bei, die er 1858 für die Enthauptung eines Mörders erhielt, und fordert für sich, einen Assistenten und zwei Knechte dasselbe Honorar.
    Giehlow tobt angesichts der in seinen Augen unverschämt hohen Forderung, lenkt aber am Ende ein mit der Feststellung: „Es ist beim Thode genügend Vermögen vorhanden.“
    Wenige Tage später erhält er die Absage des Altonaer Scharfrichters, der plötzlich schwer erkrankt und zur Ausübung seines Berufes nicht fähig sei.
    Auf Anfrage an den Scharfrichter Untermann im holsteinischen Oldenburg meldet sich dessen Sohn und teilt mit, der Vater sei 1861 verstorben. Er selbst, Pferdehändler von Beruf, sei aber durch Mitanschauung zahlreicher Köpfungen im Stande, für 200   Taler den Auftrag zu übernehmen.
    Wütend zerknüllt Giehlow das Schreiben. Sein Zorn steigert sich anderntags beim Angebot eines Amateur-Henkers aus Laboe, der als Referenz angibt, er habe das Köpfen an Tieren erprobt, vom Hahn bis zum Ochsen.
    „Verflucht und zugenäht! Muss ich am Ende noch eigenhändig dem Thode den Kopf abschlagen?“, zetert er, als er einen Brief des Scharfrichters Voigt aus Hamburg in Händen hält, der seine vielfach erprobte Guillotine anbietet, nicht wissend, dass der häufigste Gebrauchsgegenstand der Französischen Revolution in Schleswig-Holstein tabu ist.
    Erst am 30.   März kann Giehlow erleichtert aufatmen. Mit Carl Christoph Wilhelm Reindel aus Werben in der Altmark ist der richtige Mann gefunden. Angesichts schwindender Aufträge hat er sich in den letzten Jahren ausschließlich dem Zweitberuf des Abdeckers gewidmet und seine Gerätschaften dem Königlichen Stadtgericht Berlin übergeben. Dieses erklärt sich bereit, sie in diesem besonderen Fall zur Verfügung zu stellen.
    Reindel fordert 180   Taler Honorar und je 50   Taler für seine drei Helfer. Dazu Reisekosten, Unterbringung in einem angemessenen Hotel und sichere Verwahrung des Beiles und des Richtblocks. Seiner Bitte um genaue Terminierung kann Giehlow nicht nachkommen. Man habe aber den 13.   Mai ins Auge gefasst in Erwartung der baldigen Allerhöchsten Entscheidung aus Berlin.
    Die trifft per Kurier am 8.   April ein:
    WIR WILHELM
    von Gottes Gnaden König von Preußen etc.
    wollen, nachdem Uns in der Untersuchung wider den Hofbesitzerssohn Timm Thode aus Grohs-Campen bei Itzehoe in Holstein über das rechtskräftige Erkenntnis des Schwurgerichtshofes zu Itzehoe vom 31.   Januar, durch welches der genannte Thode wegen achtfachen Mordes und wiederholter Brandstiftung zur Todesstrafe verurteilt worden, Vortrag gehalten ist, der Gerechtigkeit freien Lauf lassen.
    Berlin, den 7.   April 1868
    Wilhelm
    Noch am selben Tag zeigt Verteidiger Borstel seinem Mandanten das Schriftstück. Timm reagiert gelassen: „Nu steiht endli fast, wo lang ik noch to leeven heff.“
    31
    11.   Mai. Frühmorgens um zwei Uhr rasseln die Zellenschlüssel. Timm schreckt auf. Angekleidet hat er sich gegen 22   Uhr aufs Bett gelegt. Wollte nicht schlafen diese letzte Nacht in der verhassten Zelle. Blitzschnell bereit sein, wenn Tietjens und ein paar Andere ihn holen würden zur letzten Fahrt.
    „Dat is beeter, wenn wi bi Nach fohrt“, hat der Wärter ihm am Vortag gesagt. „Denn sünd noch keen Lüüd op de Been.“
    Auf dem Gefängnishof steht ein mit zwei Pferden bespannter kastenartiger Wagen. Zu Tietjens gesellt sich ein zweiter Bewacher, der Polizeidiener Hübner. Neben den Pferden wartet der Kutscher, ein Privatmensch offenbar, mit Schirmmütze und langem Mantel. Zu beiden Seiten des Wagens hat je ein Gendarm zu Pferd Aufstellung genommen.
    Gefesselt an Händen und Füßen betritt Timm das abstoßend wirkende schwarze Gefährt. Drei kleine Holzbänke, einer in der Wagenmitte für Timm. Auf den anderen an der vorderen und hinteren Wagenwand nehmen die Wächter Platz. Ein kleines vergittertes Viereck dicht unter der Decke lässt die kühle Nachtluft hinein und eine Spur des fahlen Mondlichts.
    Der Kutscher schnalzt, die Pferde ziehen an, der düstere Wagen rumpelt über die holprigen Straßen der Kreisstadt, biegt auf die Landstraße nach Glückstadt ein. Der Weg führt durch die im Dunkeln liegenden Bauerndörfer Dägeling und Neuenbrook und die kleine verschlafene Marschenstadt Krempe.
    Bedrückende Stille herrscht im Wagen. Gern hätte Timm einen Blick durch das Gitterloch in die Morgendämmerung geworfen, den betäubenden Duft der Rapsblüte eingeatmet. Doch die Wärter haben strenge, mit Suspendierung und
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