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Der Marschenmörder

Der Marschenmörder

Titel: Der Marschenmörder
Autoren: Werner Brorsen
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des Protokolls der richterlichen Vernehmung durch den Kreisgerichtsrat Rave, in der Timm Thode erstmals ein lückenloses Geständnis ablegte. Ich konnte nachempfinden, wie Protokollführer Meindermann bei der Niederschrift zusehends die Nerven verliert. Sein zunächst leidlich entzifferbares Sütterlin wird zunehmend zittriger, die Tintenflecke mehren sich, bis das Protokoll abbricht – der arme Schreiber braucht eine Pause.
    Für den Roman erbrachte das Aktenstudium jedoch nur das juristische Skelett, weil das Material ausschließlich aus der Perspektive der Ermittler, der Staatsanwaltschaft und der Richter entstanden ist. Gleichwohl lassen etwa die Erkundungen über Timm Thodes Verhalten in der Fremde, Aufzeichnungen von Zeugenvernehmungen, Rötgers Abschlussbericht, die Obduktionsergebnisse und die von Staatsanwalt Braun verfasste Anklageschrift Rückschlüsse auf die Persönlichkeit des Täters sowie auf sein Umfeld zu.
    Zeitungsartikel, Reaktionen aus der Bevölkerung, die Korrespondenz zwischen Justizbehörden und amtliche Bekanntmachungen gewähren einen interessanten Einblick in die beschränkten technischen Möglichkeiten der Verbrechensaufklärung vor 140   Jahren sowie in die Einflüsse einschneidender politischer Veränderungen auf die Justiz. Ebenso in die Arbeit der Ermittler – Landrichter, die sich bis dato mit Kleinkriminalität und Zivilstreitigkeiten befassten und nun vor einem Verbrechen standen, für das weder Tatzeugen noch verwertbares Beweismaterial vorhanden waren. Und deren Erfolg einzig auf ihrer Menschenkenntnis, ihrer Intelligenz und ihrem kriminalistischen Gespür beruhten.
    Ob und in welchem Maße die Neuordnung des Gerichtswesens nach der preußischen Annexion Schleswig-Holsteins, die namentlich in der Beamtenschaft einherging mit Unsicherheit und Zukunftsängsten, die Aufklärung des Verbrechens verzögert hat, ist nicht nachweisbar, jedoch anzunehmen. Wohl kaum hätte das Glückstädter Obergericht die Justizräte Rötger und Jacobsen acht Monate lang gewähren lassen, ohne sie ein einziges Mal zur Eile zu mahnen, wenn nicht die bevorstehenden Umwälzungen zusätzliche Kräfte gebunden hätten. Dagegen übte es, nachdem die Vorbereitungen zur Justizreform abgeschlossen waren, auf die zweite Kommission Druck aus, obgleich es den Ermittlern Mohrdieck und Schütt bereits nach acht Wochen gelungen war, den Täter zu einem Geständnis zu bewegen.
    Andererseits dürfte Timm Thodes beachtliche Erbschaft die Ermittlungen beschleunigt, zumindest erleichtert haben. Die Akten im Landesarchiv belegen unvollständig, aber aufschlussreich, dass nahezu alle Sondermaßnahmen, von Auslagen der Ermittler über die Obduktion der Opfer und die Arzthonorare bis zu den Gerichtskosten relativ zügig aus dem Erbe beglichen wurden. Der Ausspruch des Oberstaatsanwalts Giehlow angesichts des Kostenanschlags eines Scharfrichters: „Es ist beim Thode genügend Vermögen vorhanden“ weist darauf hin, dass Timm Thode einer der wenigen Mörder war, der auch seine Hinrichtung selbst bezahlen musste.
    Wie viel am Ende von den gut 120   000   Talern des Thode-Vermögens übrig geblieben sind, ist mangels Rechnungen und Quittungen nicht zu ermitteln. Doch zeigen die aktenkundlichen Ausgaben, dass die Erbschaft vermutlich bis auf den letzten Taler den Folgen des Verbrechens geopfert wurde.
    Timm Thodes persönlicher Bedarf, sein Taschengeld, die Unterkunft beim Gendarm Wöhlers und dem Bauernvogt Jens machten nur einen geringen Teil der Ausgaben aus. Ebenso die bis auf strafbedingte „Kalte Kost“ vorzüglichen Speisen aus der Küche der Frau Tietjens während der Untersuchungshaft. Dagegen schlugen die Schadensersatzforderungen erheblich zu Buche. Bereits im Juni 1867 stellte Müllermeister Lembke aus Krummendiek die durch Timm Thodes erste Brandstiftung entstandenen Kosten in Rechnung: 13   393   Taler für den Wiederaufbau von Mühle und Wohnhaus, 4500 Taler für Stillstand des Betriebes und Einkommensverlust, 2200 Taler für Zinsverlust in drei Jahren, 50   Taler für Ertragsverlust aus dem Garten.
    Für 14   Untersuchungen und ein Gutachten verlangt Kreis-Physikus Dr.   Goetze 194   Taler. Ähnlich dürften sich die Honorare für die Kollegen sowie für den Kieler Professor Bockelmann beziffert haben. Das Appellationsgericht fordert einen Vorschuss von 2157 Talern ein, vermutlich für die Sondertätigkeit des Oberstaatsanwalts, der sich sogar persönlich um die Beschaffung eines Totenglöckleins für
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