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Mein Katalonien

Titel: Mein Katalonien
Autoren: George Orwell
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EINLEITUNG
     
    Dieses Buch ist eines der wichtigsten Dokumente unserer Zeit. Es ist ein sehr bescheidenes Buch – berichtet es doch anscheinend sowenig wie möglich von dem, was über ein Thema von großer Bedeutung gesagt werden kann. Aber indem es so wenig sagt, spricht es Bände. Sein augenscheinliches Thema ist ein Abschnitt des Spanischen Bürgerkrieges, in dem der Verfasser einige Monate als Soldat in den Schützengräben focht, bis er beinahe tödlich verwundet wurde. Jedermann weiß, daß der spanische Krieg eines der entscheidenden Ereignisse unserer Epoche war, jeder sagte es, als damals gekämpft wurde, und jeder hatte recht. Aber der spanische Krieg liegt nun Jahrzehnte zurück, und heute wird unser Sinn für Geschichte durch die Natur unserer Geschichte zerstört: unser Gedächtnis ist kurz, und es wird immer kürzer unter dem rasenden Ansturm der Ereignisse. Was einst unsere Gedanken beschäftigte und selbst trübselige Versammlungsräume mit dem Bewußtsein von Heldentum und Schicksal füllte, ist jetzt hauptsächlich zu einer Beschäftigung der Historiker geworden. George Orwells Buch würde nur in beschränktem Maß unsere Aufmerksamkeit auf sich ziehen, wäre es lediglich ein Bericht persönlicher Erfahrungen aus dem spanischen Krieg. Es ist jedoch viel mehr. Es ist ein Zeugnis vom Wesen des modernen politischen Lebens. Es ist außerdem eine Demonstration seines Autors für eine der Möglichkeiten, mit diesem Leben fertigzuwerden. Die Bedeutung des Buches ist daher sowohl zeitgemäß wie auch zukunftsweisend.
    Politik, von der man annimmt, sie sei jedem zugänglich, ist eine verhältnismäßig neue Sache in der Welt. Wir verstehen noch nicht sehr viel davon. Auch sind die meisten von uns nicht sehr begierig gewesen, mehr davon zu lernen. In einer Politik, die jedem zugänglich sein soll, spielen Ideen und Ideale eine sehr große Rolle. Und diejenigen von uns, die auf Ideen und Ideale Wert legen, konnten niemals so recht verstehen, daß, gerade weil sie heute Macht haben, eine direkte Verbindung zwischen ihrer Macht und einer anderen Art Macht besteht, nämlich der alten, unverfrorenen, zynischen Macht der Gewalt. Darüber wundern wir uns immer noch. Schon vor Jahren wurde die Geschichte der Anwendung der ungezügelten Gewalt durch den Kommunismus offensichtlich. Doch für viele von uns war es unmöglich, das zuzugeben, denn der Kommunismus appellierte kühn an unsere Vorliebe für Ideen und Ideale. So gut es ging, versuchten wir zu glauben, daß die Politik eine Idylle sei, um später zu entdecken, wie das, was wir für eine politische Pastorale gehalten hatten, in Wirklichkeit eine grimmige militärische Kampagne war – oder wie das, was wir unbedingt eine Agrarbewegung nennen wollten, tatsächlich ein neuer Imperialismus war. Was viele gute Leute als eine moralische Verpflichtung ihres persönlichen Lebens unternommen hatten, erwies sich als Hingabe an die äußerste Unmoralität. Der Beweis dafür läßt sich in einem ganzen literarischen Genre finden, mit dem wir im letzten Jahrzehnt vertraut wurden, dem persönlichen Bekenntnis der Verwicklung in den Kommunismus und der dann folgenden Enttäuschung.
    Einer der bezeichnendsten Teile des Orwellschen Buches schildert die Enttäuschung durch den Kommunismus, aber es ist keine Beichte. Ich sage das, weil es eine der wichtigen positiven Bemerkungen ist, die man über »Mein Katalonien« machen kann. Doch wenn ich das sage, bedeutet es nicht, daß ich die von vornherein ablehnenden Gefühle vieler Leute gegen Bücher teile, in denen auf Grund von Erfahrungen die kommunistische Partei bloßgestellt und angeklagt wird. Menschen mit liberalen Neigungen machen oft besorgte und ziemlich rachsüchtige Witze über solche Bücher. Diese Witze halte ich für unbillig und geschmacklos. Solche Bücher enthalten nichts, über das man sich schämen müßte. Die Wahrscheinlichkeit spricht dafür, daß ein Bekenntnis zum Kommunismus in erster Linie aus hochherzigen Gründen abgelegt wurde, und es ist sicher, daß der Umschwung durch mehr als stichhaltige Gründe bewirkt wurde. Es ist sicherlich nicht falsch, diese schmerzliche Erfahrung aufzuzeichnen und Schlüsse daraus zu ziehen. Wenn man aber die menschliche Natur bedenkt – sowohl die der besorgten Leser dieser Bücher als auch ihrer unglücklichen Verfasser –, so bleibt die Tatsache bestehen, daß ein öffentliches Bekenntnis oft in einem unglücklichen Licht erscheint, daß die Sprache der Moral weniger
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