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Mein Katalonien

Titel: Mein Katalonien
Autoren: George Orwell
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heraus, daß wir keine Minute zu früh entkommen waren. Im ersten Zeitungsblatt, das wir in die Hände bekamen, lasen wir, daß McNair wegen Spionage verhaftet worden sei. Die spanischen Behörden hatten diese Verhaftung ein wenig zu früh angekündigt. Glücklicherweise läßt sich »Trotzkismus« nicht ausliefern.
    Ich frage mich, was wohl angemessen ist, wenn man aus einem Land, in dem Krieg herrscht, kommt und seinen Fuß auf friedlichen Boden setzt. Ich rannte damals zum nächsten Tabakladen und kaufte so viel Tabak und Zigaretten, wie ich in meine Taschen stopfen konnte. Dann gingen wir alle an ein Büfett und tranken eine Tasse Tee, den ersten Tee mit frischer Milch, den wir seit Monaten bekommen hatten. Es dauerte einige Tage, ehe ich mich daran gewöhnt hatte, daß ich meine Zigaretten kaufen konnte, wann ich wollte. Ich erwartete immer noch, die Tür des Tabakladens verschlossen zu finden und ein Schild mit der Ankündigung »No hay tobaco« im Fenster zu sehen.
    McNair und Cottman gingen nach Paris, meine Frau und ich verließen den Zug in Banyuls, der ersten Station an der Bahnlinie. Wir hatten das Gefühl, daß wir uns ein bißchen erholen sollten. Wir wurden nicht gerade sehr freundlich empfangen, als man in Banyuls erfuhr, wir kämen aus Barcelona. Ich wurde häufig in das gleiche Gespräch verwickelt: »Sie kommen aus Spanien? Auf welcher Seite haben Sie gekämpft? Der Regierung? Oh!« – und dann kam eine spürbare Kühle. Die kleine Stadt schien völlig für Franco eingenommen zu sein, zweifellos wegen der vielen spanischen faschistischen Flüchtlinge, die hier von Zeit zu Zeit ankamen. Der Kellner des Cafés, in das ich ging, war ein mit Franco sympathisierender Spanier und sah mich verächtlich an, als er mir einen Aperitif brachte. In Perpignan war es anders. Diese Stadt steckte voller Parteigänger der Regierung, und dort bekämpften sich die verschiedenen Gruppen fast genauso heftig wie in Barcelona. Dort gab es ein Café, wo das Wort P.O.U.M. die Freundschaft zu den Franzosen anknüpfte und ein Lächeln der Kellner hervorrief.
    Ich glaube, wir blieben drei Tage in Banyuls. Es war eine eigentümlich unruhige Zeit. Wir hätten uns eigentlich in diesem ruhigen Fischerstädtchen vollständig erleichtert und dankbar fühlen sollen, da wir so weit von den Handgranaten entfernt waren, von den Maschinengewehren, den um Lebensmittel Schlange stehenden Leuten, der Propaganda und den Intrigen. Aber wir fühlten nichts dergleichen. Was wir in Spanien gesehen hatten, fiel jetzt, nachdem wir uns davon gelöst hatten, nicht zurück und verlor keinesfalls an Bedeutung. Die Erinnerung daran stürzte vielmehr erst recht auf uns ein und war viel lebhafter als vorher. Ununterbrochen dachten, sprachen und träumten wir von Spanien. Vorher hatten wir uns monatelang gesagt, daß wir an die Mittelmeerküste gehen, uns ausruhen und vielleicht ein wenig fschen würden, »wenn wir aus Spanien hinauskommen«. Nachdem wir aber jetzt hier waren, empfanden wir nur Langeweile und Enttäuschung. Das Wetter war kühl, vom Meer blies ein ständiger Wind, das Wasser war bewegt und glanzlos, am Hafenrand schwappten Asche, Korken und Fischeingeweide gegen die Steine. Es mag wahnsinnig klingen, aber wir wären am liebsten wieder in Spanien gewesen. Obwohl es niemand genutzt, ja sogar ernsten Schaden angerichtet hätte, wünschten wir uns beide, mit den anderen im Gefängnis zu sein.
    Ich vermute, daß es mir nicht gelungen ist, mehr als eine Spur davon zu vermitteln, was diese Monate in Spanien für mich bedeuteten. Ich habe einige äußere Ereignisse berichtet, aber ich kann nicht die Gefühle wiedergeben, die sie in mir hinterlassen haben. Sie vermischen sich unzertrennbar mit Erscheinungen, Gerüchen und Geräuschen, die man nicht mit Worten ausdrücken kann: der Geruch der Schützengräben, die Morgendämmerung in den Bergen, die sich in einer unfaßbaren Entfernung verloren, das frostige Krachen der Kugeln, das Donnern und Blitzen der Handgranaten,- das klare, kalte Licht der Morgenstunden in Barcelona, das Stampfen der Stiefel auf dem Kasernenhof, damals die Schlangen der Leute, die nach Lebensmitteln anstanden, die rotschwarzen Fahnen und die Gesichter der spanischen Milizleute; vor allem die Gesichter der Milizleute, es waren Menschen, mit denen ich an der Front zusammen gewesen war und die nun Gott weiß wohin verstreut worden waren, einige waren in der Schlacht gefallen, einige zum Krüppel geschossen, einige im
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