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Mein Katalonien

Titel: Mein Katalonien
Autoren: George Orwell
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zurückzubekommen.
    Ich erkannte sofort, wie wichtig das sein könnte. Vielleicht würde ein offizieller Brief dieser Art, mit einer Empfehlung des Kriegsministeriums und General Pozas, Kopps Ehrlichkeit bezeugen. Die Schwierigkeit bestand nur darin, die Existenz dieses Briefes zu beweisen. Wurde er im Büro des Polizeichefs geöffnet, konnte man sicher sein, daß irgendein Schuft ihn vernichten würde. Es gab nur einen Menschen, der ihn vielleicht zurückbekommen konnte. Das war der Offizier, an den der Brief adressiert war. Kopp hatte schon daran gedacht und einen Brief geschrieben, den ich aus dem Gefängnis schmuggeln und zur Post geben sollte. Aber es war offensichtlich schneller und sicherer, persönlich hinzugehen. Ich ließ meine Frau bei Kopp zurück, stürzte hinaus und fand nach langem Suchen ein Taxi. Ich wußte, daß Zeit alles war. Es war jetzt ungefähr halb sechs, der Oberst würde wahrscheinlich sein Büro um sechs Uhr verlassen, und morgen könnte der Brief Gott weiß wo sein. Vielleicht wäre er dann schon vernichtet oder unter einem Haufen anderer Dokumente verloren, die sich vermutlich zu Bergen häuften, während ein Verdächtiger nach dem anderen verhaftet wurde. Das Büro des Obersten lag in der Heereskommandantur unten am Kai. Als ich die Treppe hinaufstürzte, versperrte der wachhabende Sturmgardist am Tor den Weg mit seinem langen Bajonett und verlangte »Papiere«. Ich hielt ihm meinen Entlassungsschein vor die Nase. Offenbar konnte er nicht lesen und ließ mich passieren, beeindruckt von dem geheimnisvollen Wert der »Papiere«. Im Innern war das Gebäude ein riesiges, verschlungenes Gehege, das sich rund um einen zentralen Hof fügte. Auf jedem Stockwerk gab es Hunderte von Büros. Niemand hatte, da es in Spanien war, die leiseste Ahnung, wo das Büro lag, das ich suchte. Ich wiederholte dauernd: »El colonel – jefe de ingenieros, Ejercito de Este!« Die Leute lächelten und zuckten elegant mit ihren Schultern. Jeder, der irgendeine Vorstellung hatte, schickte mich in eine andere Richtung, diese Treppe hinauf, jene hinunter, durch endlose Gänge, die sich als Sackgassen erwiesen. Die Zeit aber wurde immer kürzer. Ich hatte das eigenartige Gefühl, unter einem Alpdruck zu stehen: Ich lief Treppen hinauf und hinab; ich sah geheimnisvolle Leute, die kamen und gingen,- ich blickte durch offene Türen in chaotische Büros, in denen überall Papier umherlag und Schreibmaschinen ratterten; die Zeit verrann, und vielleicht lag ein Leben auf der Waagschale. Schließlich aber kam ich noch rechtzeitig an mein Ziel und wurde, ein wenig zu meiner Überraschung, sogar angehört. Ich sah den Oberst nicht, aber sein Adjutant oder Sekretär, ein kleiner Offizier mit großen und schielenden Augen in einer feinen Uniform, kam heraus, um mich im Vorzimmer zu befragen. Ich stieß meine Geschichte hervor. Ich sei wegen meines mir vorgesetzten Offiziers, Major Jorge Kopp, gekommen, der eine dringende Mission an der Front habe und der irrtümlich verhaftet worden sei. Der Brief an den Oberst sei vertraulicher Natur und müsse ohne Verzögerung wieder herbeigeschafft werden. Ich hätte monatelang unter Kopp gedient, er sei ein äußerst anständiger Offizier, offensichtlich sei seine Verhaftung ein Irrtum, die Polizei habe ihn mit irgend jemand verwechselt. Ich wiederholte und betonte die Dringlichkeit der Mission Kopps an der Front, denn ich wußte, daß dies das kräftigste Argument war. Aber es muß sich in meinem abscheulichen Spanisch, das jedesmal in einem kritischen Moment in Französisch umschlug, wie eine recht sonderbare Geschichte angehört haben. Das schlimmste aber war, daß meine Stimme nahezu sofort aussetzte und ich nur mit größter Anstrengung ein Krächzen hervorbringen konnte. Ich befürchtete, daß sie vollständig verschwinden könnte und es dem kleinen Offizier überdrüssig würde, mir zuzuhören. Ich habe mich oft gefragt, was er sich wohl gedacht hat, daß mit meiner Stimme nicht in Ordnung sei. Ob er glaubte, ich sei betrunken oder ich litte nur unter einem schlechten Gewissen.
    Aber er hörte mir geduldig zu, nickte häufig mit seinem Kopf und stimmte dem, was ich sagte, vorsichtig zu. Ja, es klänge so, als sei ein Irrtum unterlaufen. Natürlich solle man die Sache untersuchen. Manaña -. Ich protestierte. Nicht manaña! Die Sache war dringend; Kopp sollte schon an der Front sein. Wieder schien der Offizier zuzustimmen. Dann kam die Frage, die ich gefürchtet hatte: »Dieser Major
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