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Der Junge, der sich Vogel nannte (German Edition)

Der Junge, der sich Vogel nannte (German Edition)

Titel: Der Junge, der sich Vogel nannte (German Edition)
Autoren: Jan Henrik Nielsen
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1
    Im Bunker gibt es keinen Unterschied zwischen Tag und Nacht. Nanna liegt mit offenen Augen im Bett und starrt in die Dunkelheit. Im Bett daneben liegt Fride. Sie atmet ruhig. Stille und Dunkelheit verschmelzen mit der drückend warmen Luft und Nanna zieht ihre Decke zur Seite. Alles ist feucht, der Boden, die Wände, ihre Spielsachen und Möbel. Die Haut ist klamm. Sie versucht in die Stille zu lauschen, nach draußen, aber kein Laut dringt durch die dicken Betonwände. Nur wenn jemand oben im Haus ist, kann man unten im Bunker etwas hören. Ferne metallische Laute, Knarren, das sich durch die Wände fortsetzt. Dann müssen sie ganz still liegen und warten. Ein paarmal haben die Geräusche sie vor Papa geweckt, da war ihre Angst noch größer. Nanna hat nie gesehen, wer da im Haus war. Sie blieb immer liegen und versuchte sich vorzustellen, wie sie aussehen: dunkle Gestalten, die das Haus durchwühlen. Sie blieb wach, bis sie hörte, wie sich Papa in den Periskopraum schlich. Das beruhigte sie und Fride sofort und dann gelang es ihnen sogar zu schlafen, obwohl jemand oben war. Aber das letzte Mal ist schon lange her.
    Der Morgen ist da. Nicht, dass das von großer Bedeutung wäre, aber wenn es Morgen ist, dann gibt es auch Frühstück und Nanna merkt, dass sie hungrig ist.
    Endlich tut sich was. Das fast unhörbare Summen des Weckers in Papas Zimmer, der sofort ausgeschlagen wird, vorsichtige Schritte in den Periskopraum. Das Geräusch, während das Periskop gedreht wird, und Papa, der ruft:
    »Mädchen! Es ist Morgen.«
    Nanna knipst das rote Nachtlicht an, das an der Wand über dem Nachttisch hängt. Fride rollt sich in ihrem Bett zusammen. An einem Ende des Zimmers ist der Schreibtisch, an dem sie ihre Schulaufgaben machen, auf dem Fußboden vor der Wand stehen Gläser mit Pinseln und Buntstiften. Sie haben den grauen Beton mit Bäumen und Blumen verziert, und auf eine Blüte hat Fride einen gelben Schmetterling gemalt, den sie Plim nennt. Fride kann stundenlang Geschichten über Plim erzählen und dann lachen sie alle zusammen.
    »Na, kommt schon. Es ist Samstag. Wir müssen aufstehen«, sagt Papa und steckt den Kopf durch die Tür. »Nanna, kannst du Fride etwas zum Anziehen raussuchen? Ich gehe runter ins Lager und hole unser Frühstück.«
    Nanna zieht ihr blaues T-Shirt an und wirft Fride ein rot gestreiftes Shirt aufs Bett. Ihre Hosen liegen auf dem Boden und Nannas fühlt sich ganz feucht an. Fride macht sich auch fertig und sie gehen in die halbdunkle Küche. Eigentlich ist es gar keine richtige Küche, nur ein Zimmer mit einem Esstisch und drei Stühlen. Unter der Woche ist die Küche gleichzeitig ihre Schule.
    »Hier ist es so dunkel«, ruft Nanna nach unten.
    »Ich weiß«, antwortet Papa aus dem Keller. »Die Solarzellen sind sicher mal wieder mit Laub verdeckt. Wir können nur hoffen, dass der Wind die Blätter bald wegweht.«
    Nana stellt eine Schachtel mit Crackern auf den Tischund eine Kanne mit Wasser, das sie gestern Abend aus dem Brunnenraum geholt haben. Papa kommt mit einer gelben und einer roten Konservendose in der Hand die Kellertreppe hoch. Seine andere Hand ist verbunden.
    »Schaut mal, Mädchen. Makrele in Tomatensauce.«
    »Nicht schon wieder!«, sagen Nanna und Fride wie aus einem Mund. »Wir wollen Pfannkuchen. In der Küchenschublade ist doch noch eine Tüte.«
    »Die müssen wir aufheben«, sagt Papa. »Und wisst ihr was? Mama hat Makrelen in Tomatensoße geliebt. Sie konnte zum Abendessen eine ganze Dose alleine verdrücken.«
    »Das wissen wir. Das erzählst du uns jedes Mal«, sagt Nanna und stöhnt frustriert.
    »Was ist mit deiner Hand passiert?«, fragt Fride.
    Papa stellt die Konservendosen auf die Arbeitsplatte und dreht sich um.
    »Nichts Schlimmes. Gestern Abend, als ihr schon geschlafen habt, musste ich im Luftschacht noch etwas reparieren, dabei habe ich mich wohl geschnitten. Es ist nur ein kleiner Kratzer.«
    Er öffnet die Konservendosen und versucht, den Fisch so auf den weich gewordenen Crackern zu platzieren, dass sie sich nicht auflösen.
    »Bitte sehr«, sagt er und stellt den Teller auf den Tisch.
    Nanna nimmt einen Cracker. Er wird im Mund immer größer, obwohl sie versucht, ihn so schnell wie möglich herunterzuschlucken.
    »Was wollt ihr heute machen?«, fragt Papa.
    »Ich weiß nicht«, sagt Nanna. »Vielleicht ein bisschen lesen. Oder vielleicht können wir später auch noch was spielen.«
    »Ich will Plim malen«, sagt Fride.
    »Was hat dein Plim denn
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