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Mein Katalonien

Titel: Mein Katalonien
Autoren: George Orwell
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die Türme hängten. An diesem Nachmittag besuchten meine Frau und ich Kopp zum letztenmal. Wir konnten nichts, aber wirklich nichts für ihn tun, nur auf Wiedersehen sagen und etwas Geld bei spanischen Freunden lassen, die ihm Nahrung und Zigaretten bringen würden. Etwas später aber, wir hatten schon Barcelona verlassen, wurde er auch incomunicado gehalten, und man konnte ihm nicht einmal mehr Lebensmittel schicken. Als wir an diesem Abend die Rambla hinuntergingen, kamen wir am Café ›Moka‹ vorbei, das immer noch von den Zivilgardisten besetzt gehalten wurde. Spontan ging ich hinein und sprach zwei von ihnen an, die an der Theke lehnten und ihre Gewehre über dem Rücken trugen. Ich fragte sie, ob sie wüßten, wer von ihren Kameraden hier während der Maikämpfe Dienst getan hätte. Sie wußten es nicht und konnten mit der üblichen spanischen Ungenauigkeit auch niemanden ausfindig machen, der es wußte. Ich sagte ihnen, mein Freund Jorge Kopp läge im Gefängnis und würde vielleicht für etwas, was mit den Maikämpfen zusammenhing, vor Gericht gestellt. Die Leute aber, die hier Dienst getan hätten, wüßten, daß er die Kämpfe aufgehalten habe und einigen Leuten das Leben gerettet hätte. Sie sollten sich vielleicht überwinden und Zeugnis dafür ablegen. Einer der Leute, mit denen ich sprach, war ein stumpfer, schwerfälliger Mann, der dauernd seinen Kopf schüttelte, weil er durch den Verkehrslärm meine Stimme nicht hören konnte. Aber der zweite war anders. Er sagte, er hätte durch seine Kameraden von Kopps Aktion gehört; Kopp sei ein ›buen chico‹ (ein guter Kerl). Aber selbst damals wußte ich schon, daß alles nutzlos war. Sollte Kopp wirklich vor Gericht gestellt werden, würde das wie in allen gleichartigen Prozessen auf Grund falscher Beweise geschehen. Wenn er inzwischen erschossen worden ist (ich befürchte, das ist ziemlich sicher), so wird dies sein Nachruf sein: das ›buen chico‹ des einfachen Zivilgardisten, selbst ein Teil des schmutzigen Systems, aber noch menschlich genug, um eine anständige Handlung als solche zu erkennen.
    Wir führten ein außergewöhnliches, verrücktes Dasein. Während der Nacht waren wir Verbrecher, während des Tages waren wir wohlhabende, englische Besucher – so gaben wir uns jedenfalls. Selbst wenn man eine Nacht draußen verbracht hat, bewirken eine Rasur, ein Bad und frisch geputzte Schuhe ein Wunder in bezug auf das Äußere. Augenblicklich war es das sicherste für uns, so bürgerlich wie möglich auszusehen. Wir hielten uns in den vornehmen Wohnvierteln der Stadt auf, wo man unsere Gesichter nicht kannte, gingen in teure Restaurants und behandelten die Kellner auf eine typisch englische Art. Zum erstenmal in meinem Leben schrieb ich auch etwas auf die Wände. In den Eingängen verschiedener feiner Restaurants kritzelte ich »Visca P.O.U.M !« so groß, wie ich es schreiben konnte, an die Wand. Während der ganzen Zeit war ich technisch auf der Flucht, fühlte mich aber nicht in Gefahr. Das Ganze erschien so absurd. Ich hatte den unausrottbaren englischen Glauben, daß »sie« mich nicht verhaften könnten, es sei denn, ich hätte ein Gesetz gebrochen. Das ist die gefährlichste Illusion, die man während eines politischen Pogroms haben kann. Der Befehl für die Verhaftung McNairs war erlassen worden, und es war durchaus möglich, daß auch der Rest von uns auf der Liste stand. Die Verhaftungen, Überfälle und Durchsuchungen gingen pausenlos weiter. Zu dieser Zeit war praktisch jeder, den wir kannten, im Gefängnis, mit Ausnahme derjenigen, die an der Front waren. Die Polizei ging sogar auf die französischen Schiffe, die von Zeit zu Zeit Flüchtlinge wegbrachten, und verhaftete verdächtige »Trotzkisten«.
    Wir verdanken es der Gefälligkeit des britischen Konsuls, daß es uns gelang, unsere Pässe in Ordnung zu bringen. Er muß in dieser Woche eine recht anstrengende Zeit verbracht haben. Je eher wir abreisten, desto besser. Der Zug nach Port Bou sollte um halb acht Uhr abends fahren, und man hätte normalerweise erwarten können, daß er etwa um halb neun abfahren würde. Wir hatten verabredet, daß meine Frau vorher ein Taxi bestellen und ihre Koffer packen solle. Dann sollte sie im allerletzten Augenblick ihre Rechnung bezahlen und das Hotel verlassen. Erregte sie im Hotel zu viel Aufsehen, würde die Direktion sicherlich die Polizei benachrichtigen. Ich ging gegen sieben Uhr zum Bahnhof und erfuhr, daß der Zug schon abgefahren war. Er
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