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Mein Katalonien

Titel: Mein Katalonien
Autoren: George Orwell
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Gefängnis; die meisten aber, hoffe ich, sind noch in Sicherheit und gesund. Ich wünsche ihnen allen viel Glück. Ich hoffe, daß sie den Krieg gewinnen werden und alle Ausländer, ob Deutsche, Russen oder Italiener, aus Spanien vertreiben. Dieser Krieg, in dem ich eine so wirkungslose Rolle spielte, hat vor allem schlechte Erinnerungen in mir hinterlassen, und doch würde ich es bedauern, nicht daran teilgenommen zu haben. Wenn man nur einen Blick auf eine derartige Katastrophe geworfen hat, muß das Ergebnis nicht notwendigerweise Enttäuschung oder Zynismus sein. Wie auch der spanische Krieg enden mag, er wird sich jedenfalls als eine entsetzliche Katastrophe erweisen, ganz abgesehen von dem Gemetzel und den körperlichen Leiden. Seltsamerweise hat das ganze Erlebnis meinen Glauben an die Anständigkeit menschlicher Wesen nicht vermindert, sondern vermehrt. Ich hoffe deshalb, daß mein Bericht nicht zu irreführend ist. Ich nehme an, daß in einer derartigen Angelegenheit niemand vollständig wahrhaftig ist oder sein kann. Man weiß nichts mit Sicherheit, außer dem, was man mit eigenen Augen gesehen hat. Bewußt oder unbewußt schreibt jeder voreingenommen und nimmt Partei. Wenn ich es in diesem Buch nicht schon vorher gesagt habe, möchte ich es jetzt aussprechen: Der Leser hüte sich vor meiner lebhaften Parteinahme, meinen Fehlern in der Darstellung der Fakten und der Verzerrung, die unausweichlich dadurch verursacht wird, daß ich nur eine Ecke des Geschehens gesehen habe. Der Leser sollte sich vor genau den gleichen Fehlern hüten, wenn er einen anderen Bericht über diesen Abschnitt des spanischen Krieges liest.
    Wir verließen Banyuls früher, als wir beabsichtigt hatten, in dem Gefühl, daß wir etwas tun sollten und es doch tatsächlich nichts gab, was wir tun konnten. Mit jedem Kilometer, den wir weiter nach Norden fuhren, wurde Frankreich grüner und sanfter. Weg von Berg und Rebe, zurück zu Wiese und Ulme. Als ich auf dem Weg nach Spanien durch Paris gekommen war, war es mir verfallen und düster erschienen, ganz anders als das Paris, das ich acht Jahre vorher gekannt hatte, als das Leben noch billig war und man noch nichts von Hitler gehört hatte. Die Hälfte aller mir bekannten Cafés hatte wegen Kundenmangels geschlossen, und jeder wurde geplagt von den hohen Lebenshaltungskosten und der Kriegsfurcht. Jetzt aber, nach der Armut Spaniens, erschien mir selbst Paris lustig und wohlhabend. Auch die Weltausstellung lief auf vollen Touren, trotzdem vermieden wir es, sie zu besuchen.
    Dann kamen wir nach England – Südengland, das wahrscheinlich die einlullendste Landschaft der Welt ist. Wenn man diese Reise macht, ist es schwer zu glauben, daß überhaupt irgendwo etwas geschieht, besonders wenn man sich gerade mit den Plüschkissen im Eisenbahnwagen des Schiffszuges unter dem Hintern friedlich von der Seekrankheit erholt. Erdbeben in Japan, Hungersnöte in China, Revolution in Mexiko? Mach dir keine Sorgen, morgen früh wird die Milch auf der Türschwelle stehen, und am Freitag wird der New Statesman herauskommen. Die Industriestädte lagen weit weg, ein Schmutzfleck aus Qualm und Elend, der von der Rundung der Erdoberfäche verborgen wurde. Hier unten gab immer noch das England, das ich in meiner Kindheit gekannt hatte: die Durchstiche der Eisenbahnlinie, die durch wilde Blumen verschönert wurden, die weitläufigen Weiden, auf denen große, glänzende Pferde grasen und meditieren, die langsam fließenden Bäche, die von Weiden gesäumt sind, die üppigen grünen Kronen der Ulmen, der Rittersporn in den Gärten,- dann die riesige, friedliche Wildnis am Rande von London, die Kähne auf dem schmutzigen Fluß, die altgewohnten Straßen, die Plakate mit den Ankündigungen von Kricketspielen und königlichen Hochzeiten, die Männer mit ihren »Melonen«, die Tauben auf dem Trafalgar Square, die roten Autobusse, die blauen Polizisten – sie alle schliefen den tiefen, tiefen Schlaf Englands. Ich fürchte, wir werden nie daraus erwachen, ehe uns nicht das Krachen von Bomben daraus erweckt.
    ENDE
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