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Mein Katalonien

Titel: Mein Katalonien
Autoren: George Orwell
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Erinnerungen an Spanien, aber ich habe nur wenige schlechte Erinnerungen an die Spanier. Ich kann mich nur an zwei Gelegenheiten erinnern, bei denen ich mit einem Spanier ernstlich böse war. Beide Male aber hatte ich vermutlich selbst unrecht, wenn ich heute darüber nachdenke. Die Spanier sind ohne Zweifel großzügig, sie haben einen gewissen Adel, der eigentlich nicht in das zwanzigste Jahrhundert gehört. Diese Haltung gibt uns die Hoffnung, daß in Spanien selbst der Faschismus eine verhältnismäßig lockere und erträgliche Form annehmen mag. Nur wenige Spanier besitzen die verdammenswerte Tüchtigkeit und Beständigkeit, die ein moderner totalitärer Staat benötigt. Als die Polizei einige Nächte vorher das Zimmer meiner Frau durchsuchte, hatte sie dafür eine eigentümliche kleine Illustration geliefert. Diese Durchsuchung war tatsächlich eine sehr interessante Sache, und ich hätte sie gerne gesehen, obwohl es vielleicht genauso gut ist, daß ich sie nicht sah, denn ich hätte mich wahrscheinlich nicht beherrschen können.
    Die Polizei führte die Durchsuchung im bekannten Stil der Ogpu oder Gestapo durch. In den frühen Morgenstunden klopften sie an die Tür, und sechs Männer marschierten herein, schalteten das Licht an und postierten sich sofort in verschiedenen Ecken des Zimmers, worüber sie sich offensichtlich schon vorher geeinigt hatten. Dann durchsuchten sie beide Zimmer mit unfaßbarer Gründlichkeit (nebenan war ein Badezimmer). Sie klopften die Wände ab, hoben die Läufer auf, untersuchten den Boden, befühlten die Vorhänge, stocherten unter die Badewanne und die Heizungskörper, leerten jede Schublade und jeden Koffer, betasteten alle Kleidungsstücke und hielten sie gegen das Licht. Sie beschlagnahmten alle Papiere, einschließlich dessen, was im Papierkorb lag, und obendrein unsere sämtlichen Bücher. Sie gerieten in eine Ekstase des Mißtrauens, als sie herausfanden, daß wir eine französische Übersetzung von Hitlers Mein Kampf besaßen. Das hätte unser Schicksal besiegelt, wenn es das einzige Buch gewesen wäre, das sie bei uns fanden. Es ist eindeutig, daß ein Mensch, der Mein Kampf liest, ein Faschist sein muß. Im nächsten Augenblick jedoch fanden sie eine Ausgabe von Stalins Heft Wie man Trotzkisten liquidiert und mit anderen Verrätern umspringen muß. Das brachte sie etwas zur Beruhigung. In einer Schublade lag eine Anzahl Päckchen Zigarettenpapier. Sie nahmen jedes Päckchen auseinander und untersuchten jedes Stückchen Papier für sich, ob vielleicht eine Botschaft daraufgeschrieben sei. Insgesamt durchsuchten sie unsere Sachen fast zwei Stunden lang. Aber während der ganzen Zeit durchsuchten sie das Bett nicht. Während der ganzen Zeit lag meine Frau im Bett, und es hätte bestimmt ein halbes Dutzend Maschinenpistolen unter der Matratze liegen können, gar nicht zu sprechen von einer Bibliothek trotzkistischer Dokumente unter dem Kissen. Aber die Geheimpolizisten dachten nicht daran, das Bett zu berühren, ja, sie sahen nicht einmal darunter. Ich kann mir nicht vorstellen, daß dies zur normalen Routine der Ogpu gehört. Man muß sich vorstellen, daß die Polizei fast vollständig unter kommunistischer Kontrolle stand und daß diese Leute wahrscheinlich kommunistische Parteimitglieder waren. Aber sie waren auch Spanier, und es wäre ein bißchen zu viel für sie gewesen, eine Frau aus dem Bett zu zerren. So wurde dieser Teil ihrer Aufgabe schweigend übergangen, und damit war die ganze Durchsuchung sinnlos.
    In dieser Nacht schliefen McNair, Cottman und ich in hohem Gras am Rande eines verlassenen Baugeländes. Die Nacht war für die Jahreszeit sehr kalt, und keiner von uns schlief sehr viel. Ich erinnere mich noch an die langen trostlosen Stunden, die wir herumlungerten, ehe wir eine Tasse Kaffee bekommen konnten. Zum erstenmal, seit ich nach Barcelona gekommen war, sah ich mir die Kathedrale an. Es war eine moderne Kathedrale, aber gleichzeitig eines der häßlichsten Gebäude der Welt. Sie hat vier mit Zinnen versehene Türme, die genau wie Rheinweinflaschen aussehen. Im Gegensatz zu den meisten anderen Kirchen in Barcelona war sie während der Revolution nicht beschädigt worden. Die Leute sagten, man hätte sie wegen ihres »künstlerischen Wertes« verschont. Ich bin der Ansicht, daß die Anarchisten schlechten Geschmack bewiesen, als sie die Kirche nicht in die Luft sprengten, solange sie die Gelegenheit dazu hatten, obwohl sie ein rotschwarzes Banner zwischen
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