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Asche und Phönix

Asche und Phönix

Titel: Asche und Phönix
Autoren: Kai Meyer
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1.
    Vor dem Hotel hatten sich Scharen von Mädchen versammelt, um einen Blick auf Parker Cale zu erhaschen. Aber Ash war die Einzige, die seine Suite betrat.
    Sie kam allein und ungebeten.
    Cale hatte das Hotel vor einer Stunde verlassen, gemeinsam mit seinen Begleitern. Drei Limousinen hatten sie zur Premiere im Odeon Cinema am Leicester Square gebracht.
    Ash hatte hinter dem Tresen in der Hotelbar abgewartet und im Fernsehen verfolgt, wie Parker Cale auf dem roten Teppich vor die Presse getreten war. Erst danach hatte sie die Universalschlüsselkarte aus der Schublade gestohlen und in ihrer Uniform verschwinden lassen. Mit einer Flasche Champagner auf einem Silbertablett hatte sie sich auf den Weg nach oben gemacht.
    Das Sicherheitspersonal vor dem Hotel hatte alle Hände voll damit zu tun, die liebestollen Fans abzuwehren. Selbst wenn sie es durch das Foyer aus Marmor und Mahagoni schafften, war an den Fahrstühlen Endstation. Ohne Schlüsselkarte setzten sich die Liftkabinen nicht in Bewegung. Niemand gelangte ins Dachgeschoss des ehrwürdigen Trinity Hotels, der dort nichts zu suchen hatte.
    Ash balancierte die Champagnerflasche im silbernen Sektkühler mit der Linken, während sie mit der rechten Hand die Tür der Suite ins Schloss drückte. Ihr schlechtes Gewissen hatte seine letzten Zuckungen längst hinter sich; tot wie eine überfahrene Katze. Parker Cale war der reichste Zwanzigjährige, der das Trinity jemals betreten hatte, und daran würde sich nichts ändern, nur weil Ash ihn um ein paar Pfund erleichterte.
    Einmal hatte sie im Koffer eines Rappers neuntausend Dollar gefunden. Gebündelte neuntausend Dollar! Wer in drei Teufels Namen schleppte druckfrische Geldbündel mit sich herum? Wer außer demjenigen, der damit den Kokainkurier bezahlen wollte?
    Sie durchquerte das kleine Foyer der Suite. Links befand sich ein Schlafzimmer mit lindgrünem Himmelbett, rechts das lichtdurchflutete Bad. Die Doppeltür vor ihr führte ins Wohnzimmer, einen großzügigen Raum mit zwei Sitzgruppen und einem Konferenztisch für acht Personen. Durch die hohen Fenster fiel ihr Blick auf die Dächer von Mayfair: graue Ziegelschrägen und Schornsteinkolonnen in Reih und Glied. Dahinter lag der Hyde Park. Es dämmerte kaum, ein Abend Anfang Juni, aber viele Fenster der alten Häuser waren bereits erleuchtet. Dies war einer der teuersten Stadtteile Londons. Die meisten Immobilien hier gehörten der Familie Grosvenor, den Rest teilte sich die britische Upper-class mit Ölscheichs und russischen Oligarchen.
    »Entschuldigen Sie! Zimmerservice! Die Tür war offen.«
    Stille. Sie stellte das Tablett mit dem Champagner im Wohnzimmer ab und ging zurück ins Foyer, um sich die Räume von dort aus der Reihe nach vorzunehmen.
    Falls jemand sie erwischte, würde sie erstens ihren Job verlieren, zweitens nie mehr einen neuen finden und drittens ihren neunzehnten Geburtstag hinter Gittern verbringen. Man brauchte kein Genie zu sein, um dann die richtigen Schlüsse zu ziehen. All die Hoteldiebstähle, die bislang keiner als zusammenhängende Serie erkannt hatte – irgendwem würde dämmern, dass in jedem dieser ehrenwerten Häuser stets dieselbe Aushilfe gearbeitet hatte.
    Neben der Tür zum Schlafzimmer entdeckte sie eine schwarze Lederjacke, achtlos über einen Stuhl geworfen. In der Innentasche steckte eine Geldbörse.
    Sie nahm alle Scheine aus dem Portemonnaie. Keine Kreditkarten, aber die hätte sie ohnehin nicht angerührt. Sie steckte die Börse zurück und legte die Jacke an ihren Platz. Wieder im Wohnzimmer, stopfte sie das Geld im Champagnerkühler unter die Flasche und stellte das Tablett auf ein Tischchen zwischen Ledersofa und Kamin. Niemals Diebesgut am Körper tragen. Falls jemand auftauchte, würde sie sagen, sie hätte den Champagner gerade erst gebracht.
    Auf dem Konferenztisch waren Magazine und Zeitungen drapiert worden. Alle waren dort aufgeschlagen, wo über Parker Cales Aufenthalt in London berichtet wurde. In welchen Restaurants war er gesehen worden, welche Clubs hatte er besucht, wer hatte ihn begleitet? Dazu ein paar aufgewärmte Skandalgeschichten von verprügelten Paparazzi und verruchten Freundinnen. Wahrscheinlich würde er irre stolz auf sich sein, wenn er bei seiner Rückkehr las, wie verdammt populär er war.
    Sie musste sich von dem Gewäsch in den Zeitschriften losreißen und sah auf die Uhr. Jede Menge Zeit. Länger als zehn Minuten brauchte sie ohnehin nicht. Parkers neuer Film, der dritte der
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