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Scatterheart

Scatterheart

Titel: Scatterheart
Autoren: Lili Wilkinson
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Es war einmal ein armer Mann, der hatte eine Tochter, die war sehr schön. Aber sie war selbstsüchtig und eitel und ihr Herz war flatterhaft wie der Wind. Deshalb hieß sie bei allen Scatterheart.
    Der Wärter stieß Hannah in die Zelle und schloss klirrend hinter ihr ab. Hannahs Augen brannten und ihr Magen krampfte sich zusammen. Der Geruch von Urin, Erbrochenem und Schweiß nahm ihr beinahe den Atem, und obwohl es an diesem Abend eiskalt war, schwitzte sie so sehr, dass ihre Haut zu jucken begann. Galliger Speichel stieg ihr in den Mund. Sie krümmte sich und erbrach sich auf den schmutzigen Steinfußboden. Zitternd zog sie die Luft ein, der Gestank war so unerträglich, dass ihr gleich wieder übel wurde. Sie fiel auf alle viere und würgte.
    »Sieh mal an«, vernahm sie eine trockene Stimme, »diese Schlampe hat wohl ein Vorhängeschloss am Arsch. Warum würde sie sonst durch den Mund scheißen!«
    Raues Lachen schepperte durch den Raum.
    Hannah machte die Augen zu und atmete durch den Mund. Nach einer Weile ließ die Übelkeit nach und sie schlug die Augen wieder auf. Die Zelle war klein, kleiner als ihr Schlafzimmer zu Hause. Und es war dunkel. Nur draußen im Gang brannte eine trübe Fackel und warf ihr spärliches Licht durch die dicken schwarzen Gitterstäbe. Die flackernde Flamme schien mehr Schatten als Licht zu erzeugen, trotzdem konnte Hannah die Umrisse von Menschen ausmachen. Manche bewegten sich im Dunkeln, andere rührten sich nicht. Ob sie schliefen oder tot waren, konnte sie nicht erkennen.
    Hannah schätzte, dass über fünfzig Menschen in dem Raum waren. Von der anfänglichen Bemerkung abgesehen, nahm niemand Notiz von ihr. Die meisten hockten auf dem Boden, manche lagen dort in einem schmutzigen Knäuel aus Armen und Beinen.
    Männer und Frauen.
    Ihr wurde wieder übel.
    Ganz oben in der Wand befand sich das einzige Fenster. Es war wie die Tür mit armdicken Eisenstäben vergittert. Draußen trieben graue Schneeflocken durch die Nacht, die vom Licht der Straßenlampen erhellt wurden. Es gab keine Betten, nicht einmal Tisch und Stühle, und nur wenige der Insassen besaßen eine Decke. Die ganze Länge der hinteren Wand nahm eine Holzpritsche ein, die mit einem dicken Brett an der Mauer abschloss. DieGefangenen lagen zusammengerollt auf der Pritsche wie auf einer Matratze und hatten den Kopf auf das Brett gelegt, als wäre es ein Kissen.
    Hannah tastete sich durch die schlafenden Menschen und kroch zwischen zwei Mithäftlingen auf die Pritsche. Sie zog die Beine an und schlang die Arme um die Knie. Sie hatte immer noch einen galligen Geschmack im Mund. Unmöglich, an so einem Ort zu schlafen. Aus allen Ecken und Enden kamen sonderbare Geräusche: ein Grunzen, Stöhnen und Schnarchen. Und trotz der Eiseskälte war es stickig in der Zelle.
    Hannah machte die Augen zu und versuchte sich vorzustellen, sie läge zu Hause in ihrem eigenen Bett. Sie wollte an das Märchen von Thomas denken, doch alles, was sie sah, war berstendes Eis und ein weißer Bär, der seinen Kopf schüttelte und ein ums andere Mal sagte:
Was hast du getan? Was hast du getan?

    Im Leben von Hannah Cheshire gab es nur zwei Männer und die hätten verschiedener nicht sein können. Ihr Vater, Arthur Cheshire, verbrachte seine Abende in vornehmen Klubs, wo er mit anderen Herren von Stand Portwein trank und spielte. Hannah wusste nicht genau, welcher Beschäftigung ihr Vater nachging, sie wusste nur, dass er ein bedeutender Geschäftsmann war.
    Er gab immer eine makellose Erscheinung ab. Seine Krawatten waren gestärkt und nach der neuesten Mode gebunden. Seine Hüte und Mäntel wurden von den besten Schneidern der Stadt gefertigt. Er trug kniehohe Reitstiefel mit goldenen Troddeln. Und er gab ein kleines Vermögen für ein breites Sortiment von Salben und Tinkturen für die Pflege seiner Haut und seiner Haare aus. Er war immer wie aus dem Ei gepellt und duftete dezent nach Lavendel.
    Thomas Behr war Hannahs Hauslehrer.
Sein
Mantel war abgetragen und an den Manschetten durchgescheuert und nur dürftig geflickt. Seine Hände ragten aus viel zu kurzen Ärmeln hervor. Der Stoff spannte über seinen breiten Schultern und jedes Mal, wenn er sich bückte, um etwas aufzuheben, gab es ein knarzendes Geräusch. Mr Behr war weder dick noch dünn, er schien auch nicht sonderlich kräftig oder stark zu sein. Hannah hatte den Eindruck, dass er sich in seinem großen Körper unbehaglich fühlte. Er zog seine Schultern hoch, um kleiner zu wirken,
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