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Mein Katalonien

Titel: Mein Katalonien
Autoren: George Orwell
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auch an Chesterton, und ich glaube, daß Orwell diesen Männern verwandt ist – er selbst war sich dessen vermutlich nicht bewußt –, was uns wiederum einiges über ihn selbst sagt. Peguy ist schon seit vierzig Jahren tot, und Chesterton erscheint uns und selbst Katholiken leider nur in mattem Licht. Außerdem ist die Verwandtschaft Orwells mit diesen Männern durch ihren Katholizismus begrenzt, denn Orwell scheint keine religiösen Neigungen gehabt zu haben, obgleich er einige Wirkungen und Verhaltensweisen der Religion bewunderte. Er hatte jedenfalls keine religiöse Neigung, die über das hinausging, was man gewöhnlich als natürliche Frömmigkeit bezeichnet.
    1 Eine Art sozialistischer Bewegung in den USA um die Jahrhundertwende, A.d.Ü.
    In mancher Hinsicht scheint er eher ein Zeitgenosse William Cobbetts und William Hazlitts zu sein als irgendeines Mannes unseres Jahrhunderts. Orwells Radikalismus bezieht sich wie bei Cobbett auf die Vergangenheit und auf den Boden. Das ist heutzutage unter Literaten keine ungewöhnliche Sozialtheorie. Aber in Orwells Haltung findet man keine versteckte Sehnsucht nach der Aristokratie, die so oft einer literarischen Agrartheorie anhaftet. Sein Gefühl für das Land und die Vergangenheit diente lediglich dazu, seinem Radikalismus eine konservative – bewahrende – Form zu geben (was an und für sich attraktiv ist] und seine politischen Anschauungen vor der Zerstörung durch die Ideologie zu bewahren. Wie Cobbett, so träumte auch er nicht von einem neuen Menschen, er ist mit dem alten zufrieden. Was ihn bewegt, ist der Wunsch, dieser alte Mensch möge Freiheit, Brot und anständige Arbeit haben. Er war erfüllt von der Leidenschaft für die eigentliche Wirklichkeit des Lebens, wie es tatsächlich gelebt wird, einer Leidenschaft, die etwa aus Cobbetts Rural Rides ein klassisches, wenn auch längst vergessenes Buch macht. Orwells eigene Bücher The Road to Wigan Pier und Down and Out in Paris and London liegen auf der gleichen Linie. Und eine nicht gerade uninteressante Einzelheit der Ähnlichkeit der beiden Männer liegt darin, daß sie beide in die englische Sprache vernarrt waren. Über Cobbett, den autodidaktischen Landarbeiter und Feldwebel, sagte einer seiner Feinde, er gehe mit der Sprache besser um als irgendeiner seiner Zeitgenossen,- er schrieb beispielsweise ein erstklassiges Handbuch der Grammatik und Rhetorik. Orwell litt schmerzhaft unter der Entartung der englischen Sprache in den Händen von Journalisten und schlechten Gelehrten, und es gibt in seinem Buch 1984 nichts Denkwürdigeres als seine Erfindung der »Neusprache«.
    Ich vermute, daß Orwells Ähnlichkeit mit Hazlitt mehr von einer intimen, gefühlsmäßigen Art ist, obwohl es nicht mehr als eine Vermutung ist, da ich von Orwell als Mensch weniger weiß als von Hazlitt. Aber es gibt in ihrem intellektuellen Naturell eine unbezweifelbare Ähnlichkeit, die dazu führt, daß beide sich ihrer politischen und literarischen Ansichten auf beinahe die gleiche Weise bedienen. Hazlitt blieb sein ganzes Leben lang ein Jakobiner, aber seine unerschütterlichen Ansichten hinderten ihn nie daran, einem Schriftsteller von entgegengesetzter Weltanschauung gerecht zu werden, wenn er es verdiente. Dies geschah nicht nur aus Ritterlichkeit, sondern aus Respekt vor der Wahrheit. Er gehörte zu jener Sorte leidenschaftlicher Demokraten, die es fertigbrachten zu bezweifeln, ob die Demokratie große Lyrik hervorbringen könnte. Seine Essays über Scott und Coleridge beispielsweise bereiten uns vor auf Essays Orwells über Yeats und Kipling. Das Altmodische in Orwells Temperament läßt sich teilweise aus der Natur der Verbindung mit seiner Gesellschaftsklasse erklären. Diese Beziehung war keinesfalls einfach. Er kam aus jenem Teil der Mittelklasse, deren Auffassung von ihrer eigenen Stellung in keinem Verhältnis zu ihrem Einkommen steht. Sein Vater war ein untergeordneter Beamter im Civil Service Indiens, wo Orwell geboren wurde. (Sein Familienname lautete ursprünglich Blair, und Orwell wurde auf die Vornamen Eric Hugh getauft. Als er zu schreiben begann, änderte er aus ziemlich komplizierten Gründen seinen Namen.) Durch ein Stipendium konnte er eine teure Privatschule besuchen, die Cyril Connolly in seinem Buch Enemies of Promise beschrieb. Auf dieser Schule spielte Orwell die Rolle des Rebellen und Intellektuellen. Später sollte er über die absolute Erbärmlichkeit eines armen Jungen in einer snobistischen Schule
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