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Schrottreif

Schrottreif

Titel: Schrottreif
Autoren: Isabel Morf
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Dienstag, 1. Woche
    1. Teil
    Jetzt reichts, jetzt ermorde ich diese schreckliche Angela, beschloss Valerie Gut. Sie lächelte böse. Und zwar heute Abend. Es war Mitte März, kurz vor 19 Uhr. Draußen dämmerte es. Ein recht milder, frühlingshafter Tag neigte sich dem Ende zu; kaum war die Sonne verschwunden, war die Temperatur empfindlich gesunken. Die Fahrräder waren hineingeräumt. Markus Stüssi, der Mechaniker, und Luís Zafar, der Anlehrling, waren eben gegangen. Valerie warf einen Blick aus dem Fenster. Der Wind trieb einen Papierfetzen vor sich her, eine Passantin zog sich im Gehen Handschuhe über, eine Tram näherte sich vom Bahnhof Wiedikon und nahm mit einem Quietschen die Kurve zur Haltestelle Schmiede Wiedikon. Das war Zürich im Vorfrühling. Valerie schloss die Ladentür ab. Die Fahrradsaison beginnt jedes Jahr eher, dachte sie. Der erste warme Tag des Jahres und schon kamen den Leuten ihre Räder in den Sinn, die in Kellerabteilen überwintert hatten und dringend einer Überholung oder einer Reparatur bedurften. Obwohl, dachte Valerie seufzend, wir doch einen vergünstigten Winterservice anbieten. Aber die Leute konnten natürlich kommen, wann sie wollten. Und ziemlich viele hatten heute kommen wollen. Na ja, gut für den Umsatz. Markus hatte eines der neu eingetroffenen, teuren Mountainbikes verkauft. Nach den Wintermonaten, in denen nicht viel lief, hatte sich Valeries Crew auf die Saison einzustellen begonnen. Das Schaufenster war passend zur Jahreszeit dekoriert: künstlicher Rasen mit Plastikblümchen, darauf ein Rad mit Picknickkorb auf dem Gepäckträger. Aber auf das Schlussbouquet, dachte Valerie, hätte ich gerne verzichten können. Dafür gedachte sie, sich jetzt zu rächen. Endlich. Ein für alle Mal. Sie hatte sich von dieser Frau viel zu viel bieten lassen. Sie ging langsam ins Büro hinunter, dicht gefolgt von Seppli, ihrem kleinen grauen Hundemischling.
    Sie starrte auf die weiße Porzellanmöwe, die ihren Schnabel in ein Porzellanrosenblatt tauchte. Es war ein Weihnachtsgeschenk von Luís’ Eltern. Es mit nach Hause zu nehmen, hatte Valerie nicht fertiggebracht. Es wegzuwerfen, ebenso nicht. Also stand der Vogel im Büro auf einem Regal an der Wand und Luís war sehr zufrieden damit.
    Eine halbe Stunde vor Ladenschluss hatte Angela Legler das Geschäft beehrt. Angela Legler war eine ihrer Stammkundinnen. Leider. Weshalb, war Valerie ein Rätsel, denn FahrGut war es noch nie gelungen, die Dame zufriedenzustellen. Sie war eine durchtrainierte Person mit ungesund gebräunter Lederhaut, die jedes Wochenende mit ihrem Mann Passfahrten unternahm. Vor einem Jahr hatte sie ein schmales, federleichtes Rad mit allen technischen Schikanen für ihre Bergfahrten gekauft, allerdings in einem langwierigen, für die Gut-Crew aufreibenden und nervenzehrenden Prozess: Die Farbe des Rahmens war eine Nuance zu hell. Beim Pedalen nahm sie ein schwaches schabendes Geräusch wahr. Sie hatte sich überlegt, dass sie doch den schmaleren Sattel wollte. Könnte man nicht, bitte, den anderen Lenker montieren, nur damit sie sah, ob der nicht besser war. Sie hatte aber doch lieber wieder den ersten haben wollen. Und so weiter. Ende letzter Woche hatte sie das Rad gebracht, um das Rücklicht reparieren zu lassen, was Markus am Samstag erledigt hatte.
    Valerie hielt sich im Hinterhof auf, als sie hörte, dass Angela Legler im Laden herumschrie. Sie warf einen Blick hinein. Luís hatte der Kundin das Rad aushändigen wollen, worauf sie, nach einem flüchtigen Blick, ausgerastet war und ihn beschuldigt hatte, die Bremse ausgewechselt zu haben. Luís, ein Portugiese, dessen Deutschkenntnisse ausreichten, um die Attacke ungefähr zu verstehen, aber nicht, um sie zu parieren, verwies auf den Mechaniker und brachte sich in Sicherheit. Markus Stüssi wischte sich die ärgste Karrenschmiere von den Händen und schob sich langsam und vierschrötig in den Verkaufsteil des Ladens.
    »Ihr habt an meinem Rad die Bremse ausgewechselt!«, tobte Angela Legler, 40-jährig, normal intelligent, von Beruf kaufmännische Angestellte – und jetzt offenbar völlig durchgedreht. Sie wollte die ursprüngliche Bremse, das teure Spitzenspezialmodell, wiederhaben. Sofort. Markus studierte den Reparaturzettel und das Rad eine Weile, betrachtete die Spezialbremse und schüttelte den Kopf.
    »Wir haben die Bremse nicht ausgewechselt«, sagte er. »Hier steht: ›Licht reparieren.‹ Das habe ich erledigt. Am Samstag.«
    Angela wurde noch
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