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Akte X

Akte X

Titel: Akte X
Autoren: Unsere kleine Stadt
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    Die Dunkelheit ist eine merkwürdige Sache. Manchmal kann sie gemütlich sein. Wie die Dunkelheit unter der kuscheligen Decke, die man sich in Kindertagen über den Kopf gezogen hat, um sich vor Geistern und Vampiren zu verstecken - all jenen Dämonen, von denen man glaubte, sie würden in den nächtlichen Schatten des Zimmers lauern.
Manchmal kann sie beängstigend sein. Wie die Dunkelheit im Keller des alten Hauses, in dem man einmal gelebt hat. Die Dunkelheit, in der man gefangen war, wenn alle Lichter ausgingen und einen das ungute Gefühl beschlich, man würde nie wieder ans Tageslicht zurückkehren können.
Manchmal kann sie einsam sein. Wie die Dunkelheit, die einen auf den einsamen Straßen außerhalb der Stadt umgeben kann, während man in einem geparkten Wagen sitzt, auf die Morgendämmerung wartet und sich fragt, wie das Leben nur so verkehrt laufen konnte.
George Kearns hockte in seinem Auto, das am Stadtrand von Dudley, Arkansas, an einer verlassenen Straße stand. Die pechschwarze Nacht passte hervorragend zu den düsteren Gedanken und Gefühlen, mit denen er sein Leben Revue passieren ließ.
Wie hatte es nur so weit kommen können?
Er war ein ehrbarer Mann, und fast fünfzig Jahre lang hatte er auch ein ehrbares Leben geführt.
Doch nun würde er seine Arbeit verlieren, das spürte er mit jeder Faser. George war gut in seinem Job. Seine Kompetenz als staatlicher Geflügelinspektor auf der Hühnerfarm stand außer Frage, doch leider war die Qualitätskontrolle eine undankbare Aufgabe, die einem viele Feinde schuf.
Die Leute, deren Leistung er überprüfte, verübelten ihm seinen kritischen Blick - was mehr als verständlich war. Schließlich gingen sie nur ihrer Arbeit nach und verrichteten sie, so gut sie konnten. Aber, so dachte Georg mit gerunzelter Stirn, warum wollten sie dann nicht akzeptieren, dass auch er nur seinen Job tat!
Viel gravierender war allerdings, dass Walt Chaco, der Eigentümer der Hühnerfarm, ihn ebenfalls loswerden wollte. Das konnte George fühlen, wann immer der alte Mann ihm begegnete, jedesmal, wenn sie miteinander sprachen. Der kraftvolle grauhaarige Alte pflegte ihn dann von Kopf bis Fuß zu mustern, und George wusste, dass es nun an ihm war, taxiert und einer Qualitätskontrolle unterzogen zu werden. George war sich sicher, dass Chaco genügend Mängel feststellte.
Und nun fielen ihm auch noch seine eigenen Bosse in Washington in den Rücken. Man sollte glauben, er hätte ein Lob verdient für seine hervorragende Arbeit zum Schutz der Konsumenten. Aber nein. Sie würden ihn von seinem Posten absetzen, davon war er überzeugt. George wusste, wie diese Dinge liefen: man verständigte sich, traf Vereinbarungen. Und bestimmt tuschelten schon die Leute von Dudley darüber...
Die Stadt hatte ihn nie akzeptiert. Seit er mit seiner Frau vor sechs Monaten nach Dudley gezogen war, hatten ihn die Einheimischen beobachtet und ihm übel nachgeredet. George wusste, dass er sich das nicht einbildete, obwohl er nicht genau sagen konnte, was die Blicke seiner Nachbarn tatsächlich zu bedeuten hatten. Er hatte schon in vielen Städten gelebt. In manchen war er freundlich aufgenommen worden, in anderen nicht, doch so etwas wie in Dudley hatte er noch nie erlebt. Er war ein Außenseiter, und das ließen sie ihn jeden Tag aufs Neue spüren.
Seiner Frau waren diese Probleme fremd. Doris hatte sich sofort eingelebt. Es war... ja, es war geradezu unheimlich, wie gut sie in diese Stadt passte, so gut, als wäre sie hier geboren und aufgewachsen.
Doris...
George konzentrierte seine Gedanken auf seine Frau. In den vergangenen Monaten hatten sie sich auseinandergelebt. Ganz plötzlich schien sie es kaum noch ertragen zu können, ihn auch nur anzusehen, und wenn er sie berührte, fühlte er, wie sie unter seinen Händen versteinerte. George grübelte, seit wann die Dinge zwischen ihnen schon so liefen und wie es überhaupt dazu gekommen war.
Auf einmal registrierte er die Feuchtigkeit auf seinen Wangen, zwischen seinen Lidern, und zwinkerte voller Verwunderung. Er hatte nicht bemerkt, dass er geweint hatte, und bis zu diesem Augenblick hatte er auch nicht gewusst, wie viel ihm Doris bedeutete.
Die Erkenntnis, dass es nicht einfach sein würde, ihre Liebe zurückzugewinnen und sie glücklich zu machen, gab ihm unerwarteten Schwung. Er musste seinen Job retten, und er musste sich einen Platz unter den Bürgern dieser Stadt erobern. Wenn er den Menschen hier eine Chance gab und sich nett und
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