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Die ehrenwerten Diebe

Die ehrenwerten Diebe

Titel: Die ehrenwerten Diebe
Autoren: Will Berthold
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    Es war noch nicht einmal acht Uhr, und das Telefon schlug an wie ein Kettenhund.
    Ich nahm den Hörer nicht ab, ich hatte gerade festgestellt, daß die Leitung über Nacht angezapft worden sein mußte, und ich brannte darauf zu erfahren, wem ich diese Aufmerksamkeit zu verdanken hatte.
    In diesen Dingen kenne ich mich aus.
    Der Untergrund ist mein Fach, eine stumme, hinterhältige Front mein Metier. Dabei bin ich weder Kriminalist noch Agent, noch Spion, noch Detektiv.
    Eigentlich bin ich nur ein Privatmann.
    Das Klingeln verstummte, der Sprechautomat mußte sich jetzt eingeschaltet haben, und meine Stimme würde vom Tonband leiern:
    »MIKE FABIAN IST ZUR ZEIT AUSSER HAUS. SIE KÖNNEN EINE NACHRICHT HINTERLASSEN. DANKE FÜR IHREN ANRUF. DAS GERÄT SCHALTET NACH DREISSIG SEKUNDEN AB. BITTE SPRECHEN SIE JETZT …«
    Die Abhörvorrichtung war ein winziges Kästchen an der Unterseite des Telefongerätes. Wann immer ich angeläutet wurde, klingelte es auch bei meinem Gasthörer. Er konnte ganz in der Nähe oder auch über hunderte von Kilometern Entfernung meine Gespräche belauschen oder auf Tonband aufzeichnen.
    Ich hatte solcherlei Spielereien oft genug selbst etabliert.
    Meine Freunde, Partner und Klienten mieden grundsätzlich mein Telefon und nutzten es nur im äußersten Notfall als eine Art Lockruf.
    Ich ging ins Bad, um mich zu rasieren. Ich bin ein Morgenmuffel, und so mußte ich erst sehen, wie ich die Augen aufbekam. Nach einer Weile bemerkte ich, daß ich vergessen hatte, das Licht über dem Wandspiegel einzuschalten.
    Ich holte es nach und musterte verdrossen mein verschlafenes Konterfei:
    Graue Augen. Volle Haare. Kein Fett und wenig Falten. Daß ich 42 war, ließ sich nicht leugnen. Ich stand in dem Lebensabschnitt, in dem nach einem gängigen Schlagwort unserer Zeit die Midlife Crisis drohte – und ich war noch immer Junggeselle. Ich bin weder ein Kostverächter noch ein Hagestolz, und manchmal träume ich von der Ehe wie ein Falschmünzer vom Geld. Aber es lag an den Umständen, daß ich mehr in Frankfurt, Bonn, Düsseldorf, London, Rom, Paris und New York anzutreffen war als in meinem hübschen Bungalow über dem Ostufer des Starnberger Sees.
    Obwohl mir vor gut zehn Jahren zwei Patente gestohlen worden waren, hätte ich von den übrigen drei gut und gerne leben können – aber für einen Privatier war ich doch wohl noch ein wenig zu jung.
    Ich war immer schon ein neugieriger und ehrgeiziger Bursche gewesen. Und so hingen meine Titel Dr. jur. und Dipl.-Ing. wie ungetragene Maßanzüge im Schrank.
    Ich hatte besessen an einer Idee gearbeitet, an einem Tonbandgerät, das weder Netz noch Batterien als Energiequelle benötigen, sondern als eine Art Selbstversorger über Solarzellen den Strom aus dem Sonnenlicht beziehen sollte.
    Fünf harte Jahre lang war ich mit diesem Problem schlafen gegangen und wieder aufgestanden, unter Verzicht auf die Freuden des Lebens.
    Als ich vor dem Ziel gestanden hatte und zwei entscheidende Patente anmelden wollte, mußte ich feststellen, daß mir ein Dieb zuvorgekommen war.
    Ein ungetreuer Mitarbeiter hatte sich von ihm einkaufen lassen, ihm meine theoretischen und praktischen Berechnungen überlassen, und so stand ich mit leeren Händen vor dem Patentamt und mußte noch gegen den Ruf ankämpfen, ein Plagiator zu sein.
    Niemals fand ich mich damit ab – und so begann meine zweite Laufbahn. Ich wurde ein Wirtschafts-Kriminalist, arbeitete in einem Grenzbereich der Legalität, in dem sich Polizei und Staatsanwaltschaft nicht selten die Zähne ausbeißen. Ein Niemandsland von Manipulation und Spekulation ist der Tummelplatz der ehrenwerten Diebe, der steifen Gentlemen mit den blütenweißen Kragen und den geschönten Lebensläufen. Das Repertoire der gutgetarnten White Collar-Täter reicht von der Bestechung über die Erpressung bis zum Mord.
    Ich hatte Erfolg. Ich fiel auf. Man hörte mich als Sachverständigen bei Patent-Prozessen. Und hinter verschlossenen Türen beriet ich die Spitzenmanager der Industrie, wie sie sich gegen unlautere Machenschaften abschirmen könnten. Nach Expertenschätzung arbeiten in der Bundesrepublik mindestens 1.500 ausländische Industrie-Spione; es können genauso gut 3.000 sein. Nach einer weiteren Annahme von Sachverständigen verliert allein die deutsche Industrie durch die Ausspähung von Konstruktions-Unterlagen, Produktions-Verfahren, Marketing-Konzeptionen, Export-Offensiven und geplanten Neuentwicklungen alljährlich drei
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