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Der Mann,der durch das Jahrhundert fiel

Der Mann,der durch das Jahrhundert fiel

Titel: Der Mann,der durch das Jahrhundert fiel
Autoren: Moritz Rinke
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vorgedrungen, doch sie bohrten am äußersten Rand einer Stelle, die sich tief hinabsenkte wie in einen Krater. Wie in eine Schlucht, die der verborgene Findling gezogen hatte. Seit die Eiszeit und der Weltwinter zu Ende gegangen waren und die langsam fließenden Gletscher sich vom Norden her bis an diese Stelle geschoben hatten, lag er da: magmatisches Gestein, Granit, ein Gigant - neben dem Jahrtausende später ein Bauer sein Haus baute, das dann Paul Kück kaufte und in dem er lebte, mit seinen Brüdern, den Frauen, Kindern und den berühmten Männern im Garten.
    Die Erklärung kam am Nachmittag durch die erdstatischen Untersuchungen: Dem Druck, den die neuen Betonpfähle zusammen mit der Last des Hauses ausübten, konnte die Randlage nicht mehr standhalten. Der Sand wich aus, rutschte seitlich weg in die Schlucht und in die noch tieferen Regionen des Moores, was die Spezialbohrungen ergaben, die Brüning hatte vornehmen lassen. Die Westseite sank ab, der Giebel kippte nach außen und das Fundament des Hauses brach in der Mitte durch.
    Brüning konnte seine Arbeiten einstellen. Haftbar zu machen für den »Grundbruch«, wie man so einen Schaden bezeichnete, war er nicht. Im Gegenteil, er würde seine durchgeführten Arbeiten in Rechnung stellen müssen.
    Zusätzlich die Materialkosten, Transportbeton, Drehbohrgeräte ...
    Er hielt Paul ein Papier hin, in dem die Untersuchung des Erdstatikers dokumentiert und Ursache und Schuld allein auf die Eiszeit, die Moränen und den Brocken übertragen wurden. Es wurde auch auf bestimmte »gekrümmte Gleitflächen«, »Bruchfiguren« und »logarithmische Spiralen« verwiesen, und Brüning zeigte mit seinem Finger auf die betreffenden Stellen, die ihn entlasteten.
    Eine blanke Wut überkam Paul. Warum konnte Brüning nicht erst einmal schweigen, ohne gleich seine Ansprüche anzumelden? Warum sagte er nicht, dass es ihm leid täte mit dem »Grundbruch«, statt die ganze Zeit mit seinem Finger auf der Stelle mit der Eiszeit und dem Brocken herumzutippen? Und wieso hatte er nicht vorher die Bodenverhältnisse vom Erdstatiker prüfen lassen? Paul überlegte, ob er die Kraft hätte, mit gerichtlichen Schritten zu drohen, aber was würde das kosten?
    Er war blass geworden und blickte in das letzte Bohrloch, das sich bis oben hin mit Moorwasser gefüllt hatte.
    Brüning steckte das Papier mit den statischen Untersuchungen in seine Hosentasche und ordnete den gesamten Abzug der Erdbohrer, Raupen, Bagger, Betonmischer und sonstigen Arbeitsgeräte an.
    Beim Rückwärtsrangieren sah einer seiner Mitarbeiter verwundert auf die Trümmer der alten Scheune und rammte dabei die Marie-Skulptur, die wackelte, seltsam knirschte, aber nicht fiel. Maries schönes Gesicht und ihr Blick waren nunmehr zu Boden gerichtet, so als nähme sie Anteil am Grundbruch des Hauses.
    Nullkück grub immer noch.
    Goran und Branko, die zu den Spezialbohrungen erschienen waren und denen Brüning noch einmal mit Händen und Füßen erläuterte, was sich zugetragen hatte, zuckten mit den Schultern und besprachen sich. Es schien, als erklärte der eine auf Kroatisch die Eiszeit, während der andere damit begann, den Kovac-Bus auszuräumen und ein Halmer-Bild nach dem anderen an die alte Eiche, an die Skulpturen oder an die Reste des Hauses zu lehnen. Die Erinnerungen an die tote Tochter waren nun im ganzen Garten verteilt.
    Brüning lief mit einer Kaffeekanne der Kücks über die Baustelle. Er fand keinen geeigneten Platz, um sie abzustellen, und war auf dem Weg in die Küche. Er trat über die gefallenen Mauern, stockte, drehte um und stellte die Kanne letztlich neben einen Ziegelstein im Garten. Vielleicht kam es ihm sonderbar vor, eine Kaffeekanne in ein Haus zu tragen, bei dem gerade die ganze Westseite absank, der Giebel nach außen kippte, das Fundament in der Mitte durchbrach und das Grundwasser aus der Tiefe emporstieg wie ein böser Traum.
    Brüning näherte sich Paul. Es hatte den Anschein, als wollte er noch etwas sagen, doch er riss nur mit einem Ruck sein Stofftaschentuch aus der Hose und schnäuzte sich.
    Was sollte er auch schon sagen, dachte Paul. Als »durchgeführt«, »dörfbhrt«, wie es bei Brüning stets geheißen hatte, konnte man die nachträgliche Pfahlgründung nicht bezeichnen. Das Haus sah aus, als sei es auf hoher See beschossen worden, und nun, da man nichts mehr tun konnte, würde die Besatzung schweigend von Bord gehen.
    Brüning rieb seine Nasenflügel mit der Hand ab und sah in einen
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