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Der Mann,der durch das Jahrhundert fiel

Der Mann,der durch das Jahrhundert fiel

Titel: Der Mann,der durch das Jahrhundert fiel
Autoren: Moritz Rinke
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Jahre später - ihm wurde elend. Er zog den Vorhang wieder zu, spülte das Pissoir und verließ die Toilette.
    Ohlrogge saß an der Bar und starrte vor sich hin.
    »Mehr weiß ich doch auch nicht«, erklärte ihm Martha und brach Eiswürfel aus der Gefrierbox.
    »Ein Mann? Was für ein Mann?«, fragte er.
    »Hab ich doch gesagt. Irgendein Mann. Der hat kein Wort gesagt. Der ist hier rein und nach zwei Minuten saß die bei dem im Auto.«
    Ohlrogge griff über den Bartresen zum Telefon. »Ich ruf jetzt die Polizei! Ich war mit ihr privat verabredet!«
    Martha nahm ihm den Hörer aus der Hand und stellte das Telefon unter die Bar. »Da muss ich erst Rücksprache mit dem Chef halten! Außerdem sah das alles ganz normal aus! Die gehörte zu ihm. Das konnte man erkennen. Der hat sie an der Hand rausgeführt.«
    Paul blieb in der Tür stehen, ging wieder zwei Schritte zurück.
    »Jetzt ist gerade einer da, der hat gesagt, er war schon mal hier mit elf«, erzählte Martha, weiterhin das Eis aus der Box brechend. »Lustig, oder? Ich finde das lustig.«
    Ohlrogge nahm sein Glas und trank es, ohne abzusetzen, leer.
    »Wolltest du nicht on the rocks?«, fragte Martha, »War'n doch noch gar keine Würfel drin!«
    Ohlrogge erhob sich vom Barhocker. Er lief auf die Wand mit der Vagina zu und riss die Tür zu den Hinterzimmern auf. »Schluss jetzt!«, schrie er, »Scheißgruppe! Und ich sitz hier wieder Stunden vor diesem Putzfilm, oder was?! Den kenn ich schon, den hab ich schon tausendmal gesehen!«
    »Aber noch nicht so groß! Und hier wird nicht herumgebrüllt!«, rief Martha mit strengem Ton durch den Club.
    Ohlrogge knallte die Tür wieder zu, die ganze Pornowand wackelte.
    Paul versteckte sich hinter dem Zigarettenautomaten, er rührte sich nicht. Auf keinen Fall in den Raum zurückgehen und bemerkt werden, sagte er sich. Bloß nicht reden und mit dem Mann in eine neue Beziehung treten. Einen unmöglicheren Ort konnte man sich nicht ausdenken als ausgerechnet hier, mit einer riesigen Vagina vor der Nase und einem gefallenen Engel an der Bar. Paul konnte weder zurück zur Sitzecke, wo seine Jacke lag, noch konnte er aus dem Club heraus, die Tür musste Martha erst aufschließen, um einen Gast hinauszulassen.
    »Neulich hat Gott bei mir geklingelt. Mit einem Koffer. Aber ich habe ihn nicht reingelassen. Ich habe ihn im Regen weggeschickt. Das habe ich nun davon«, sagte Ohlrogge und hielt sein Glas hin. »Mach wieder voll, Martha.«
    »Du hast schon genug. Ich mach dir jetzt deinen Tee. Wo ist dein Beutel?«, fragte sie und stellte ihm eine Tasse hin.
    »Ich nehme keinen Tee. Ich habe heute gar keine Beutel mit!«, er schlug die Tasse auf den Tresen, sie zerbrach.
    Paul versuchte von hinten vorsichtige Winkzeichen zu geben, aber Martha sah ihn nicht im schummrigen Licht. Auf der Wand vor der Sitzecke bewegte sich ein Schwanz, der so groß war wie Brünings Erdbohrer.
    »Wie lächerlich ...Wie lächerlich zu warten ...« Ohlrogge spielte mit den Scherben. »Worauf denn warten ...? Auf eine Nutte? Eine Nutte?!«
    Er sah Martha an, die nicht antwortete, sondern nur seine Finger mit einem Handfeger zur Seite schob und die Bruchstücke der Tasse zusammenkehrte.
    »Heute habe ich auf der Straße einen toten Igel gesehen ... Den werde ich morgen beerdigen«, sagte Ohlrogge und wusste nicht, wohin mit seinen Händen, bis er sie auf dem Schoß zusammenlegte.
    Paul rüttelte an der Ausgangstür. Er suchte den Vorraum nach einem Schlüssel ab. Er rief vom Handy die Auskunft an, um sich mit dem Bordell und Martha telefonisch verbinden zu lassen, aber er wusste nicht den genauen Namen. Er sagte »Al-Capone-Club«, den gab es nicht, »Nachtfalterbar« und »Delphin-Club« auch nicht, er legte auf und gab wieder versteckte Winkzeichen durch das Schummerlicht.
    Ohlrogge nahm eine Flasche aus seinem Jackett und goss sich nun selbst ins Glas. »Stand vor der Tür. Schöne, schlichte Flasche, was?«
    Er trank den Schnaps und hielt Martha, die gerade mit Salzgebäck an ihm vorbei wollte, am Glitzerkostüm fest.
    »Wärst du hinterhergelaufen? Ich meine, ihm? Gott? Ich habe noch gefragt, ob er einen Schirm haben will. Aber er hörte mich nicht mehr auf der Landstraße.«
    »Lass mich, ich muss die Nuss-Schalen auffüllen!«, zischte Martha und riss sich los.
    »Dann werde ich morgen bei der Beerdigung die anderen Igel fragen«, sagte Ohlrogge leise und starrte wieder vor sich hin.
    Nach einer Weile erhob er noch einmal seine Stimme. »Weißt du, es
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