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Der Mann, der ins KZ einbrach

Der Mann, der ins KZ einbrach

Titel: Der Mann, der ins KZ einbrach
Autoren: Rob Broomby Denis Avey
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England hinter dem Schiff im Dunst verschwand, ewig lange her zu sein. Die zivilisierte Welt, die ich gekannt hatte – die Welt mit ihren Gesetzen, Gebräuchen und Vorstellungen von Anstand –, blieb langsam hinter mir zurück.

2. Kapitel
     
     
    L es Jackson kannte immer die kürzeste Strecke zwischen zwei Punkten. Kaum war die Otranto ausgelaufen, kam er in unsere Kabine und stieg mit langen Schritten vorsichtig über die am Boden Liegenden hinweg, weckte sie aber trotzdem. Er schaute sich die Reihe von Mädchenfotos an, die ich an die Wand geklebt hatte, darunter auch das Foto seiner Schwester Marjorie. Ich rechnete mit einem spöttischen Kommentar, der jedoch ausblieb. Les wusste, dass ich eine Schwäche für Marjorie hatte, doch ihm lag etwas anderes auf dem Herzen.
    »Ich habe eine Aufgabe für dich, Avey. Du hast Latrinendienst.«
    »Was? Das kann nicht dein Ernst sein.«
    »Es wird sich für dich lohnen.«
    Eddie Richardson schnappte er sich ebenfalls. Eddie hatte eine Privatschule besucht und hätte sich kaum dazu herabgelassen, das Wort Latrine auszusprechen, geschweige denn, eine zu putzen. Als er herausfand, dass die Waffe der Wahl die Klobürste war, zeigte er sich wenig erfreut; dennoch reinigten wir jeden Tag eine halbe Stunde lang die Toiletten und bekamen dafür jedes Mal ein Festessen: Sandwiches mit Ei und Speck, so viel wir verdrücken konnten. Das war großartig. Vor allem aber waren wir für die gesamte Fahrt von sämtlichen anderen Arbeiten befreit. Les wusste einfach, wo es langging. Er segelte stets hart am Wind.
    An diesem Tag, dem 5. August 1940, liefen siebzehn Schiffe aus. Eines musste wegen Maschinenschadens umdrehen. Die anderen dampften unter Geleitschutz durch die Navy auf die Irische See hinaus. Wir wussten noch immer nicht, wohin es ging; diese Information wurde sogar vor uns geheim gehalten. Kaum war das Festland außer Sicht, als das Heulen einer Sirene das monotone Stampfen der Motoren übertönte. U-Boot-Alarm! Auf dem Schiff brach hektische Betriebsamkeit aus. Männer eilten rufend und schreiend umher. Ich drängte mich zu meiner Rettungsbootstation durch. Mit aschfahlen Gesichtern suchten Männer die Wasseroberfläche nach einem Periskoprohr ab oder schlimmer noch, nach einem Torpedo. Von der Brücke der Otranto blitzten Signale, die an die Schiffe des Geleitschutzes gerichtet waren – verwaschene graue Schemen am Horizont. Je mehr Zeit verstrich, ohne dass ein U-Boot gesichtet wurde, desto mehr legten sich Angst und Aufregung. Trotzdem mussten wir stundenlang an Deck stehen. Doch schon bald wurde das Leben an Bord zu einem monotonen Einerlei.
     

     
    Ich wurde aus tiefem Schlaf gerissen, als jemand kräftig an meinem Arm zerrte. In der Kabine wimmelte es von Kameraden, die einen Heidenlärm veranstalteten. Ich wurde aus der Koje gezerrt. »Wach auf, Avey, wir haben einen Job für dich. Zeit, dass du dein Geld verdienst«, sagte jemand.
    Ehe ich wusste, wie mir geschah, wurde ich von der Menge Uniformierter mitgerissen. Rings um mich her sangen und grölten die Männer. »Das gibt was!«, rief jemand. »Wartet nur, bis er den Burschen sieht!«
    So langsam wurde mir klar, dass man irgendetwas mit mir vorhatte, und mir kam der starke Verdacht, dass es mit einer Art Opferzeremonie zusammenhing. Wir eilten über die schmalen Gänge, an zahllosen Kabinentüren vorüber, bis wir an eine steile Treppe gelangten, die an Deck führte. Die Seeluft wehte mir ins Gesicht, und endlich wurde ich richtig wach. Man führte mich über das Deck, vorbei an Rettungsbooten, die an ihren Seilen hingen, und Reihen riesiger weißer Lüftungsrohre, die an die Sprechtrichter altmodischer Telefonapparate erinnerten. Als wir uns dem Heck näherten, ging es wieder abwärts. Rechts von mir bemerkte ich einen jungen Burschen mit fleckigem Gesicht, der mit den Fäusten lebhaft Boxhiebe in die Luft machte. Allmählich begriff ich, worum es hier ging.
    Auf dem Achterdeck sah ich einen Boxring unter freiem Himmel, kunstgerecht mit Seilen abgegrenzt. Ein großer Mast überragte ihn. Dass ich boxte, hatte sich herumgesprochen, und damals hätte ich im Ring oder außerhalb gegen jeden gekämpft, der mir seinen Hut vor die Füße warf. Normalerweise siegte ich, aber normalerweise wusste ich vorher auch, gegen wen ich antrat.
    Ich hatte schon die Boxhandschuhe an, als ich ihn sah. Mein erster Gedanke war: Die haben dich reingelegt! Mein Gegner stolzierte in den Ring. Er war nicht allzu groß, vielleicht
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