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Der Mann, der ins KZ einbrach

Der Mann, der ins KZ einbrach

Titel: Der Mann, der ins KZ einbrach
Autoren: Rob Broomby Denis Avey
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bevorstand: Schmutz, Blut und Entbehrungen. Er schüttelte mir nur die Hand und wünschte mir Glück. Er war ein anständiger, stolzer Mann mit vollem dunklem Haar – ein gläubiger Christ, der hohe Anforderungen stellte und die Kraft hatte, sie durchzusetzen. Er hatte mir nie viel väterliche Wärme entgegengebracht, aber das hatte auch seine Vorteile: Einige Geschehnisse in späterer Zeit sind darauf zurückzuführen, dass ich mit der Vorstellung aufgewachsen bin, Prinzipien müssten in die Tat umgesetzt werden. Vater war von Beruf Ratsschreiber, und dies zu einer Zeit, als eine solche Aufgabe einem Mann noch Respekt und lokal begrenzte Allmacht einbrachte, aber er war im Dorf beliebt, weil er unterschiedslos jedem half, der in der Klemme steckte. Später erfuhr ich, dass er hin und wieder die Steuern ärmerer Mitbürger aus eigener Tasche beglichen hatte.
    Es fiel meinem Vater schwer, Zuneigung zu zeigen, und auch Lob war bei uns ein karges Mahl. Als ich als Kind einen begehrten Sportpokal errang, sagte er nur: »Gut gemacht, Junge«, und sprach dann nie wieder darüber. Erst nach dem Krieg wurde mir klar, dass er verdammt große Stücke auf mich gehalten hat. Kurz nachdem ich in See gestochen war, meldete er sich freiwillig zur Army; zu diesem Zweck musste er lügen, was sein Alter betraf. Später erzählte man mir, dass er immer gefragt habe, wo ich stationiert sei. Ich nehme an, er hegte die Hoffnung, sich irgendwie um mich kümmern zu können, wenn er sich zu mir versetzen ließ, aber natürlich trafen wir nie zusammen.
    Er geriet auf Kreta in Kriegsgefangenschaft und kam als Zwangsarbeiter nach Deutschland, wo er beim Bau einer Bergbahn eingesetzt wurde, obwohl er an Lungenentzündung litt. Oft schleuderte er Schrauben und Muttern den Hang hinunter – eine Trotzreaktion, um zu beweisen, dass er noch nicht geschlagen war. Er konnte ganz schön widerborstig sein. Das habe ich wohl von ihm geerbt.
     
    An Deck schaute ich zu, wie die Besatzung sich gegen Gefahren wappnete, die unter Wasser auf uns lauern konnten – U-Boote und Minen, die nur darauf warteten, ein Leck in den Schiffsrumpf zu reißen und uns in die Tiefe zu schicken. Der einzige wirksame Schutz gegen Minen war das Ottergerät, ein torpedoförmiges Ding mit scharfen Finnen. Über die Reling gelehnt, beobachtete ich, wie es an der Seite heruntergelassen wurde und in den Wellen verschwand.
    Das haiartige Gerät erwachte zum Leben, sobald es im Wasser war; seine Flossen zogen es in die Tiefe und vom Schiff weg. Das schwere Kabel wurde abgerollt, bis der Otter ein gutes Stück vom Schiff entfernt war und parallel zu ihm durchs Wasser glitt. Das Kabel sollte die Minen von ihren Ankern reißen. Kamen sie dann an die Oberfläche, wurden sie mit Maschinengewehren unter Feuer genommen, oder sie glitten am Kabel entlang und trafen den Otter, wo sie in einer weißen Fontäne explodierten, das Schiff aber verschonten, was uns ein gewisser Trost war.
    Mich faszinierten solche Erfindungen. Ich hatte oft an Autos und Motorrädern herumgebastelt, und als Schüler wollte ich unbedingt Ingenieur werden. Ich hatte immer schon meinen eigenen Kopf gehabt. Als Junge hatte ich sogar meine eigene Kinderarmee geführt. Wir waren umhermarschiert, echte Gewehre auf den Schultern, die allerdings nicht geladen waren. Auf der Schule wurde ich Schulsprecher, und ich hatte die nötige Kraft, um den Schlägern Grenzen zu setzen, was ich auch tat. Später zog meine Frau Audrey mich damit auf, dass ich dann ja selbst zum Schläger hatte werden müssen. Ich fürchte, es war nur halb im Scherz gemeint. Jedenfalls hatte ich vor nichts und niemandem Angst.
    Ich besuchte das Leyton Technical College in Ostlondon und hielt mich dort ganz gut. 1933 – in dem Jahr, als Hitler Reichskanzler wurde – stand ich in der Stadthalle von Leyton auf der Bühne, um für meine schulischen Leistungen einen Preis entgegenzunehmen. Ich war erst vierzehn, aber der Mann, der mir den Preis überreichte, hätte mich tiefer beeindrucken müssen, als es der Fall war: Es handelte sich um den Kriegsveteranen und Dichter Siegfried Sasson. Er war damals Mitte vierzig und hatte dunkles Haar, das er aus der hohen Stirn gekämmt trug. Er beglückwünschte mich kurz und knapp und überreichte mir zwei bordeauxfarbene Bände mit goldener Prägung in Gestalt eines Schwertes und eines Schildes. Ich hatte mir Bücher von Robert Louis Stevenson und Edgar Allan Poe ausgesucht.
    Das alles schien mir jetzt, als
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