Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Mann, der ins KZ einbrach

Der Mann, der ins KZ einbrach

Titel: Der Mann, der ins KZ einbrach
Autoren: Rob Broomby Denis Avey
Vom Netzwerk:
das Ding zurückzuwerfen? Man zog den Sicherungsstift, lief ein Stück vor und schleuderte die Handgranate mit ausgestrecktem Arm wie beim Kegeln, während man sich auf den Bauch warf. Wenn man sich nicht selbst in die ewigen Jagdgründe sprengte, sollte die Handgranate in einer großen, tiefen Grube landen, wo die Explosion relativ abgeschirmt verlief.
    Das alles war kein Problem für mich. Als Sechzehnjähriger hatte ich einen Kricketball neunzig Meter weit werfen können. Für mich war alles immer noch ein Spiel.
     

     
    Als wir an Bord der Otranto von Liverpool ausliefen, war uns bewusst, dass wir Großbritannien in einem traurigen Zustand hinter uns ließen. Im Juni war Frankreich an die Deutschen gefallen, Italien hatte den Alliierten den Krieg erklärt, und über Südengland fanden regelmäßig Kurvenkämpfe zwischen Jägern der deutschen Luftwaffe und der RAF statt. Die Luftschlacht um England hatte begonnen.
    Als ich an Bord des Truppentransporters ging, pusteten dessen Zwillingsschornsteine mit ihren dunklen Bändern Rauch in die Luft. Es wimmelte von Männern, die sich eine Koje suchten. Einige trugen Marschgepäck und waren auf Kabinen aus, andere riefen ihre Kameraden herbei und versuchten sich auf dem Schiff zurechtzufinden. Auf den Decks unter uns waren die Fahrzeuge und das schwere Gerät verstaut.
    Les Jackson war von Anfang an dabei. Er war damals Corporal, ein Berufssoldat – ein großartiger Kamerad mit einem Funkeln in den Augen und einem verschmitzten Humor. Er war älter als die meisten von uns, über dreißig, aber wir waren von Anfang an gut miteinander ausgekommen, und am Ende sollten wir ebenfalls zusammen sein: Achtzehn Monate später, als wir frontal in eine Wand aus Maschinengewehrfeuer hineinfuhren, saß ich neben ihm.
    Les hatte mich seiner Familie in Liverpool vorgestellt, und ich hatte mich in seine Schwester Marjorie verguckt. Sie war ein sehr attraktives Mädchen mit hellem Haar und leichtem Liverpooler Einschlag; ein freundlicher Mensch und eine ausgezeichnete Tänzerin. Ich hatte sie ein paarmal ausgeführt, aber wir waren die Unschuld in Person. Damals konnte man nachts ein Mädchen meilenweit nach Hause begleiten, und am Ende des Weges war ein Kuss auf die Wange das höchste der Gefühle. Trotzdem war zwischen uns etwas Besonderes. Die Familie hatte mir herzliche Gastfreundschaft entgegengebracht, aber nun sollten fünf Jahre vergehen, ehe ich wieder die Schwelle ihres Hauses überschritt, um Les’ Vater auf ein Bier abzuholen, leider zu einem alles andere als freudigen Anlass.
    Ich hatte Marjories Foto an die Wand der kleinen, stickigen Kabine geklebt, die ich mit drei Kameraden teilte. Aber Marjorie war nicht die Einzige. Ich hatte immer viele Freundinnen gehabt; deshalb besaß ich eine ansehnliche Sammlung an Fotos.
    Ich lag in der obersten Koje, Bill Chipperfield lag unter mir. Er war ein bodenständiger Bursche aus einer armen Familie in Südengland, grundehrlich und stets gut gelaunt. In der Kabine lagen noch zwei andere Soldaten, aber die armen Teufel mussten auf dem Boden pennen. Wir waren eingequetscht wie Sardinen in der Dose, und man konnte sich in der Dunkelheit nicht bewegen, ohne auf jemanden zu treten.
    Wir hatten vierundzwanzig Stunden Heimaturlaub erhalten, ehe wir an Bord mussten, und den größten Teil dieser Zeit hatte ich auf dem Hin- und Rückweg verbracht. Meine Familie lebte tief im Süden, im Dorf North Weald in Essex. Wir waren erfolgreiche Bauern, sodass es uns nie an etwas mangelte, und ich hatte eine schöne Kindheit auf dem Lande hinter mir.
    Meine Mutter weinte herzzerreißend, als sie mich zum Abschied küsste. Ich hatte mit meiner Schwester Winifred für Fotos posiert. Das Bild, auf dem der Wind in ihrem dunklen, welligen Haar spielt, besitze ich noch heute. Auf dem Foto trägt sie ein Strickkleid und eine Perlenkette. Ich bin in Uniform, die Hosenbeine hochgezogen, die Uniformjacke an den Hüften straff gezogen, das Schiffchen in kesser Schieflage auf dem Kopf. Als ich mich verabschiedete, kam mir gar nicht der Gedanke, dass ich vielleicht nicht mehr heimkehren könnte. Ich war überzeugt, auf mich aufpassen zu können. So ist man in der Jugend. Meine Schwester verbarg in ihrem Innern, was sie empfand. Wir wussten nicht, was der Krieg bringen würde. Warum sich also Sorgen machen?
    Nur einer von uns ahnte, was kommen würde, aber er sagte nichts: George Avey, mein Vater. Er hatte im Ersten Weltkrieg gekämpft und wusste, was mir
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher