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Der Mann, der ins KZ einbrach

Der Mann, der ins KZ einbrach

Titel: Der Mann, der ins KZ einbrach
Autoren: Rob Broomby Denis Avey
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einem Journalisten, dass ich nun als glücklicher Mann sterben könne. Ich hatte fast siebzig Jahre gebraucht, bis ich diese Worte auszusprechen vermochte.
    Jetzt, wo ich imstande bin, über diese schreckliche Zeit zu reden, habe ich das Gefühl, als würde sich eine Last von meinen Schultern heben. Ich kann nun klar und deutlich an jenen entscheidenden Moment zurückdenken, den Augenblick des Austauschs.
     

     
     
    Mitte 1944
     
    Wir mussten uns beeilen. Ich wartete versteckt in dem kleinen Schuppen. Ich konnte nicht sicher sein, ob er wirklich erschien, aber dann kam er. Er war ein holländischer Jude. Ich kannte ihn als »Hans«. Als er sich zu mir hineinduckte, zog ich meine Uniformjacke aus. Hans schloss die Tür vor dem Lärm der höllischen Baustelle und streifte seine verdreckte gestreifte Häftlingskleidung ab. Er warf mir die dünnen Sachen zu, und ich schlüpfte hinein, ohne zu zögern. Dann beobachtete ich, wie er meine britische Felduniform anzog, wobei er immer wieder über die Schulter zur Tür blickte.
    Mit dem Tausch unserer Kleidung hatte ich den Schutz der Genfer Konvention aufgegeben. Ich hatte Hans meine Uniform überlassen, meine Rettungsleine, meine größte Chance, lebend aus diesem Albtraum herauszukommen. Von nun an würden die Deutschen mich so behandeln, wie sie Hans behandelt hatten. Wenn sie mich schnappten, würden sie mich ohne viel Federlesens als Schwindler erschießen.
    Es war Mitte 1944, als ich aus freiem Entschluss das Konzentrationslager Auschwitz III betrat.

1. Kapitel
     
     
    I ch habe mich freiwillig zum Militärdienst gemeldet, aber es ging mir nicht darum, für König und Vaterland zu kämpfen, obwohl ich Patriot war. Der Grund war Abenteuerlust. Wie hätte ich auch ahnen können, welche Hölle mir bevorstand? Eine heroische Aufbruchstimmung jedenfalls gab es damals nicht. An einem schönen Augustmorgen des Jahres 1940 verließen wir Liverpool an Bord des Truppentransporters Otranto , ohne zu wissen, wohin die Reise ging.
    Ich blickte über den sich verbreiternden Streifen aus braunem Mersey-Wasser auf das Royal Liver Building, ein Wahrzeichen Liverpools, und fragte mich, ob ich die grünen Liver-Vögel auf seinen Kuppeln je wiedersehen würde. Zu der Zeit war Liverpool von Bombenangriffen noch weitgehend verschont geblieben. Einen Monat nach meiner Abreise sollte sich das ändern, aber noch war Liverpool eine Stadt, die beinahe so aussah wie in Friedenszeiten. Ich war einundzwanzig Jahre alt und fühlte mich unzerstörbar, unverwüstlich. Wenn du einen Arm oder ein Bein verlierst, gelobte ich mir, kehrst du nicht nach Hause zurück. Ich war ein junger Soldat mit rotem Haar und einem Temperament, das dazu passte und das mir eine Menge Schwierigkeiten einbringen würde. Aber das konnte ich nicht ändern.
     

     
    Ich war ins Heer eingetreten, weil mir die Luftwaffe zu langsam war: Bei der Royal Air Force dauerte der Papierkram länger. Das war die erste glückliche Entscheidung meiner militärischen Laufbahn. Als ich die Spitfires sah, die über uns durch die Wolken jagten, wünschte ich mir zwar immer noch, Pilot zu sein, aber es hätte mit ziemlicher Sicherheit meinen Tod bedeutet, wäre ich zu dieser Zeit der Royal Air Force beigetreten. Die RAF -Piloten waren die Ritter der Lüfte, doch als die Luftschlacht um England begann, hatten die meisten dieser armen Kerle nicht mehr lange zu leben. Deshalb hatte ich Glück, nicht zu ihnen zu gehören.
    Ich meldete mich am 16. Oktober 1939 zum Dienst. Weil ich gut mit dem Gewehr umgehen konnte, steckte man mich – Rifleman Denis George Avey, Dienstnummer 6914761 – in das 2. Bataillon der Rifle Brigade und schickte mich zur Grundausbildung in eine Kaserne in Winchester.
    Die Ausbildung war streng. Man achtete nicht auf Regen oder Sonnenschein. Die Rifle Brigade war ein Regiment von Berufssoldaten, und als Kriegsfreiwillige wurden wir besonders hart geschliffen. Wir exerzierten bis zum Umfallen, machten knochenhartes Ausdauertraining und endlose Hindernisläufe, sodass wir jeden Abend erschöpft auf unsere Pritschen sanken. Doch am Ende waren wir ziemlich fitte Jungs. Wir wurden an jeder Waffe ausgebildet, die der British Army zur Verfügung stand, doch ich war mit Schusswaffen aufgewachsen. Mein Vater hatte mir meine erste Schrotflinte gekauft, eine Vier-Zehner, als ich acht Jahre alt war. Sie hatte einen eigens gekürzten Kolben, damit ich sie an die Schulter setzen konnte. Die Waffe hängt noch heute an einer Wand
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