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Herzraub

Herzraub

Titel: Herzraub
Autoren: Monika Buttler
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    Ein Spaziergänger hatte die Leiche gefunden. Beim Pilze sammeln im Klövensteener Forst. Ein Routinefall, so schien es zunächst.
    Ein Oktobertag. Feuchtgelbes, modriges Laub heftete sich an die Schuhe, der Himmel unnatürlich blau, stählern, in seiner Leuchtkraft fast schmerzend. In der Luft konnte man die erste Kälte schmecken. Der Rentner im grauen Anorak hatte per Handy die Polizei gerufen. Kurz darauf waren zwei Schutzpolizisten im Streifenwagen gekommen und hatten begonnen, den Fundort mit Absperrbändern zu sichern. Wenig später trafen Hauptkommissar Werner Danzik und sein junger Kollege Torsten Tügel ein.
    Der Rentner erhob sich von seinem Wartesitz, einem Baumstamm, und kam zögernd auf den großen, leicht rundrückigen Werner Danzik zu.
    „Da! Da hinten.“ Er wies schräg hinter sich in ein Gebüsch mit dichten Laubhaufen.
    Der Kommissar – grauer Bürstenhaarschnitt, grauer, appetitlich gestutzter Schnauzer – fixierte den älteren Mann aus hellen, blauen Augen. Handy mit über sechzig, offenbar ein wendiger Silbersurfer, konstatierte er. Die Leiche hatte ihn augenscheinlich nicht besonders verstört.
    Danzik hatte in dreißig Berufsjahren alle Reaktionsvarianten beim Anblick einer Leiche kennen gelernt und in Typen klassifiziert: die Erstarrten, die sprachlos an ihrem Entsetzen schluckten; die Hysterischen, die es in ziellose Bewegung ummünzten; die Verdränger, die geschwätzig-wichtigtuerisch ihr Ego auslebten; ja, und die Sachlichen, die die Situation packten oder sich zusammenrissen. Dazu gehörte dieser –
    „Ihr Name?“
    „Ahrens. Wilhelm Ahrens.“
    „Warten Sie.“ Der Kommissar drehte sich um und ging auf die bezeichnete Stelle zu, sein Kollege folgte ihm.
    Als sie zurückkamen, wirkte Danziks Miene versteinert, sein Assistent atmete hörbar aus.
    „Wie genau haben Sie sich die Leiche angesehen?“, wandte sich der Kommissar an den Rentner.
    „Nicht so genau. Man sieht doch gleich, dass da etwas – “
    „Schon gut, Herr Ahrens. Sie haben also Pilze gesammelt.“
    „Ja, das heißt nur einen Teil.“ Der Rentner zeigte auf seinen spärlich gefüllten Bastkorb. „Ich wollte ja noch mehr sammeln, meine Frau ist heute nämlich nicht mit, sie hat Migräne.“
    „Ist Ihnen unterwegs irgendjemand begegnet, ein anderer Sammler, ein Spaziergänger?“
    „Nein.“
    „Oder ein Radfahrer?“
    „Auch nicht.“
    „Herr Ahrens, Sie können dann gehen. Kommen Sie bitte morgen um neun ins Präsidium, damit wir das Protokoll machen. Torsten, nimm mal die Personalien auf.“
    Werner Danzig hob grüßend die Hand – gerade waren Spurensicherer, Arzt und Fotograf aus ihren Autos gesprungen und auf ihn zugeeilt.
    Er führte sie zum Fundort.
    Aus dem Gebüsch ragten Beine in den Blick, in schwarzen, blickdichten Strümpfen, darüber, etwas hochgerutscht, ein türkisfarbener Minirock. Soweit noch nichts Ungewöhnliches. Doch dann, als die Blicke der Neuankömmlinge weiterwanderten, der gleiche Schock, der kurz zuvor die Magengruben der Kommissare attackiert hatte: eine türkisfarbene Kostümjacke, breit auseinandergerissen, offenbar in panisch gewaltsamer Eile, darunter ein zerfetzter schwarzer Spitzenbody. Beides der textile Restrahmen für einen Brustkorb, der, senkrecht aufgeschlitzt, diesen Menschen in eine einzige große Wunde verwandelt hatte.
    Ein weiblicher Mensch. Weißblonde Pagenfrisur, die noch immer einen hervorragenden Schnitt erkennen ließ, die Züge edel, im Profil wahrscheinlich noch edler.
    Doktor Hajo Urban, der bullige, kahlköpfige Gerichtsmediziner, sah noch einmal genau hin. „Kommt mir irgendwie bekannt vor.“
    „Das ist beziehungsweise war Celia Osswald“, sagte Danzik.
    Im Gesicht des Arztes stand noch immer ein Fragezeichen.
    „Die Schauspielerin. Der Fernsehstar.“
    „Ja, natürlich. Da gab es doch grad diese Serie – “
    „Die Klatschreporterin‹.“
    „Richtig.“ Doktor Urban beugte sich wieder über die Leiche. Erneut richtete er sich auf und wandte sich zu dem Kommissar.
    „Celia Osswald. Das ist doch die Schauspielerin, die kürzlich durch eine Herzoperation in die Schlagzeilen gekommen ist. Der ein fremdes Herz implantiert worden ist.“
    „Genau.“ Danzik fühlte, wie sich in seiner Magengegend etwas verkrampfte, er musste ein leichtes Würgen niederzwingen.
    „Weißt du, was hier los ist?“ Der Arzt betrachtete den Brustkorb, als gehöre dieser nicht mehr zu Celia Osswald.
    „Du wirst es mir sagen.“
    „Die Leiche hat kein Herz mehr.
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