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Der Mann, der ins KZ einbrach

Der Mann, der ins KZ einbrach

Titel: Der Mann, der ins KZ einbrach
Autoren: Rob Broomby Denis Avey
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wurde gewitzelt und herumgealbert, und einer von den Jungs sagte: »Ich wette, Sie wären überall lieber als hier, Sir, nicht wahr?« Niven überlegte kurz, ehe er antwortete: »Sagen wir mal so … Ich würde lieber Ginger Rogers’ Titten kraulen.«
     

     
    In der vierten Maiwoche 1940 holte uns die Wirklichkeit ein. Einhundert von uns wurden ausgewählt und zum Bahnhof von Tidworth gebracht, ohne dass man uns einen Grund dafür nannte. Wir wussten, dass es in Frankreich schlecht für uns stand. Ich erhielt den Befehl über ungefähr zwanzig Mann und musste die Granatwerfer, die leichten Bren- MG s und die Gewehre verteilen.
    Nach einer Stunde fuhr der Zug ein, wobei er Wolken aus Dampf und Rauch ausstieß. Wir stiegen zwischen den Zivilisten ein, und die Fahrt zur Küste begann.
    Das britische Expeditionskorps steckte in ernsthaften Schwierigkeiten. Calais wurde belagert, und die Schlinge der Deutschen zog sich zu. Das 1. Bataillon der Rifle Brigade saß dort fest, und unsere Einheit aus dem 2. Bataillon wurde bereitgestellt, um die Jungs herauszuhauen.
    Allerdings saßen wir auf der falschen Seite des Ärmelkanals. Aus der Sicherheit Englands starrten wir auf das grelle Küstenlicht. Wir konnten uns die Katastrophe, die sich jenseits des schmalen Wasserstreifens abspielte, nur schwer vorstellen, aber wir hörten die Schüsse der schweren Artillerie – ein gespenstisches, Unheil verkündendes Dröhnen.
    Das 1. Bataillon befand sich erst seit zwei oder drei Tagen in Frankreich. Man hatte es eilig hinübergeschafft, damit es unseren Divisionen die Flucht ermöglichte, indem es den Hafen von Calais offen hielt. Es leistete zähen Widerstand und kämpfte, bis ihm die Munition ausging. Eine Handvoll Überlebender wurde von der Royal Navy nach England gebracht; die anderen fielen oder gerieten in Gefangenschaft. Winston Churchill dankte ihnen später und erklärte, ihr Widerstand habe mindestens zwei deutsche Panzerdivisionen gebunden, während die »kleinen Schiffe« in Dünkirchen so viele Soldaten an Bord nahmen, wie sie konnten.
    Dort einzugreifen wäre Selbstmord für uns gewesen. Wir wären noch auf dem Wasser zusammengeschossen worden. Zum Glück sahen die hohen Tiere das rechtzeitig ein, und der Plan wurde aufgegeben. Ich sollte erst als Kriegsgefangener auf das europäische Festland gelangen. Falls ich einen Schutzengel besaß, so hatte er gerade wieder eingegriffen. Bereits zum zweiten Mal, nachdem ich mich schon nicht zur RAF gemeldet hatte, war ich dem Tod durch pures Glück von der Schippe gesprungen.
    Als Nächstes wurden wir zur Pferderennbahn von Aintree nördlich von Liverpool verlegt. Dort findet normalerweise das Grand National statt, doch jetzt war die Rennbahn ein Meer aus Soldaten, die darauf warteten, dass man sie Gott weiß wohin schickte.
    Wir übernachteten im Freien. Obwohl Sommeranfang war, erwachte man mit Gliederschmerzen und einer vom Tau klammen Decke. Aber am Canal Turn zu biwakieren, dem Sprunghindernis mit seiner berühmt-berüchtigten Neunzig-Grad-Biegung, war ein echter Leckerbissen für einen jungen Mann, der mit Pferden aufgewachsen ist. Nach drei Wochen zogen wir in ein großes Haus in der Stadt um und hatten endlich die Nässe hinter uns, wenn schon sonst nichts.
    Dort bin ich Eddie Richardson zum ersten Mal begegnet. Er war ein prima Kerl aus einer alten Soldatenfamilie; deshalb nannten wir ihn »Regimental Eddie« oder kurz »Reggie«. Wir lagen auf der gleichen Stube. Reggie konnte sich sehr gut ausdrücken, redete vielleicht sogar ein bisschen hochgestochen im Vergleich zu uns anderen. Monate später sollte er in der Wüste am gleichen Tag, an dem mein Glück mich verließ, in Schwierigkeiten geraten.
    Die Ausbildung in Liverpool besaß eine ganz eigene Atmosphäre. Wir übten in abgesperrten Straßenzügen, die zum Abriss vorgesehen waren, den Häuserkampf. Wir erlernten die schwierige Kunst, Molotowcocktails herzustellen und zu werfen, und meisterten die Mills-Granate, eine Handgranate mit einer segmentierten Stahlhülle, die wie eine Mini-Ananas aussah. In den Monaten, die vor mir lagen, sollte ich eine innige Vertrautheit mit der Mills-Granate entwickeln. Das Ding war so simpel, wie es gemein war. Man konnte unterschiedliche Zünder einsetzen, die drei, sieben oder neun Sekunden bis zur Detonation verstreichen ließen, aber man musste sich sehr genau überlegen, welchen Zünder man nahm. Denn wer möchte schon, dass jemand von der anderen Seite Zeit genug bekommt,
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