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Wolkentöchter

Wolkentöchter

Titel: Wolkentöchter
Autoren: Xinran
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    Vorwort
    Ein Buch für adoptierte Töchter
    E s hat lange gedauert, bis ich den Mut aufbrachte, mich erneut gewissen Erinnerungen und persönlichen Erfahrungen zu stellen, die ich als Reporterin in China sammelte. In
Verborgene Stimmen
schrieb ich über jene tapferen Frauen, die der Radiomoderatorin, die ich damals war, ihre Geschichten erzählten. Aber es gab einige Geschichten, über die ich nicht berichtete, weil ich es einfach nicht über mich brachte. Sie waren zu quälend und berührten mich persönlich zu sehr. Ich bin keine besonders mutige Frau. Ich bin bloß eine Frau, die sich danach sehnt, eine mütterliche Umarmung und jenes lebenslange Band der Liebe und Nähe zwischen Mutter und Tochter zu spüren. Nach und nach durchdrang mich diese Sehnsucht immer mehr, bis sie schließlich mein Denken völlig beherrschte. Das Wiedererwecken jener Erinnerungen barg die Gefahr, alte Wunden aufzureißen: Ich würde meine eigene Mutter mehr denn je vermissen und noch stärker darunter leiden, dass ich diese Art Liebe nie haben würde.
    Als ich 2002 auf der internationalen Buchmesse im australischen Melbourne eine Rede hielt, wurde ich aus dem Publikum gefragt: »Xinran, was ist Ihr größter Traum?«
    Ich sagte: »Eine Tochter zu sein.«
    Ein Raunen lief durch die mehreren hundert Menschen im Saal. »Aber Sie sind geboren worden, also müssen Sie jemandes Tochter sein!«
    »Im biologischen Sinn, ja«, erwiderte ich. »Ich wurde in eine traditionelle Kultur hineingeboren, habe aber als Kind brutale politische Umwälzungen erlebt. Meine Mutter und ich lebten in Zeiten, in denen familiäre Bindungen nichts galten. Demzufolge kann ich mich nicht erinnern, je von meiner Mutter gehört zu haben, dass sie mich liebt, oder auch nur umarmt worden zu sein.«
    Nach dem Vortrag wartete eine ganze Reihe von grauhaarigen Frauen an dem Wagen, der mich zurück zum Hotel bringen sollte. Sie seien da, so sagten sie, um mir eine mütterliche Umarmung zu schenken. Eine nach der anderen kam zu mir, schloss mich in die Arme und küsste mich auf die Stirn …
    Unwillkürlich liefen mir die Tränen übers Gesicht. In meinem Innern schrie ich: Ihre Warmherzigkeit erfüllt mich mit Dankbarkeit, aber wie sehr wünschte ich mir, meine eigene Mutter hätte mich halten können. Ich sehne mich so schrecklich nach der Liebe meiner Mutter! Und das ist der Grund, warum ich Angst davor hatte, Erinnerungen heraufzubeschwören, die mich damals so viele Tränen gekostet haben, und mich mit dem Schmerz von Frauen zu beschäftigen, die ihre Töchter preisgegeben hatten. Sogar noch schwerer war es, die Frage zu hören, die in fremde Kulturen adoptierte chinesische Mädchen stellten: »Xinran, wissen Sie, warum meine chinesische Mutter mich nicht gewollt hat?«
    Meine Bücher sind in über dreißig Sprachen übersetzt worden, und infolgedessen habe ich Fotos, Tonkassetten und Videos von Adoptivfamilien und adoptierten chinesischen Mädchen aus der ganzen Welt erhalten. Ihre Briefe haben mich getröstet, wie die beiden folgenden (und die anderen auf den Seiten 273–278), und aufgrund ihrer Ermutigung habe ich endlich doch die Geschichten von chinesischen Frauen niedergeschrieben, die ihre Babys weggeben mussten …
    Liebe Xinran,
    ich bin die (Adoptiv-)Mutter von zwei wunderbaren chinesischen Mädchen. Meine Töchter sind jetzt elf und neun. Beide sind glücklich in unserer Familie, und wir lieben sie sehr. Aber sie werden nie vergessen, dass jede von ihnen in China eine leibliche Familie hat. Sie lieben ihre leibliche Mutter, und genau wie Sie würden beide gern das Gesicht ihrer leiblichen Mutter sehen und ihre Stimme hören. Bitte schreiben Sie Ihr Buch, damit unsere Mädchen das Herz ihrer leiblichen Mutter besser verstehen können. Wir haben ihnen gesagt, dass wir nach diesen Müttern suchen werden, wenn sie das möchten, aber wir haben ihnen auch gesagt, dass die Suche vielleicht vergeblich sein wird. Die Botschaft, die Sie von leiblichen Müttern übermitteln, wird vielleicht das Einzige sein, das sie je von ihren chinesischen Familien erfahren.
    Auf jeden Fall können Sie den chinesischen Müttern sagen, dass ihre Töchter sie nicht vergessen haben. In unserer Familie werden die leiblichen Mütter geehrt. Meine Töchter und ich lernen Putonghua. Wir sind schon zweimal gemeinsam nach China gereist. Sie lieben das Land ihrer Geburt ebenso, wie ihr Vater und ich es lieben. Wir sind stolz, eine amerikanisch-chinesische Familie zu sein.
    Bitte
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