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Der Maedchenmaler

Der Maedchenmaler

Titel: Der Maedchenmaler
Autoren: Monika Feth
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indem er seinen Fensterplatz zum Büro umfunktionierte.
    Eigentlich hatte sie es ja auch gar nicht eilig. Es war der Tag der Anreise. Sie würde ihr Hotelzimmer beziehen, zu Abend essen, kurz noch einmal mit dem örtlichen Veranstalter telefonieren und sich dann mit einem Buch ins Bett verkriechen. Das war das beste Mittel gegen Heimweh.
    Vielleicht würde sie noch Jette anrufen. Oder doch lieber nicht. Womöglich hatte Jette Recht und sie benahm sich tatsächlich wie eine Glucke. Wann würde sie endlich das schlechte Gewissen einer berufstätigen Mutter los? Wenn ihre Tochter fünfzig wurde? Sie befand sich nicht auf einer Weltreise. Sie war jederzeit erreichbar. Von überall käme sie rasch zurück. Was machte sie so unruhig? Ihr Verstand sagte ihr, dass sie sich kindisch aufführte. Ihr Gefühl behauptete das Gegenteil.
    »Wenn du nicht wegfahren willst, dann bleib zu Hause«, hatte ihre Mutter gesagt. Sie war einfach und direkt und dachte nicht um zwölf Ecken herum. »Du hast Geld genug, es zwingt dich also niemand zu dieser Lesereise.«
    Warum hatte sie dennoch nicht darauf verzichten wollen?
    Weil Lesereisen zwei Seiten hatten. Da waren einerseits die enormen Anstrengungen, die Einsamkeit in der Hotelzimmer, die tausend kleinen Orte, die sie sah und gleich darauf wieder vergaߟ, die Austauschbarkeit von Menschen und Situationen. Da waren andrerseits die Lesungen selbst, die Auftritte, die sie genoss, Gespräche, die ihre Phantasie anregten, Menschen, denen sie für Stunden näher kam.
    Am schlimmsten war die Einsamkeit. Und doch war sie auch faszinierend. Imke fürchtete und brauchte sie. Sie war etwas anderes als die Abgeschiedenheit in der Mühle. Die Einsamkeit auf Lesereisen war vollkommen. Sie wurde von nichts und niemandem wirklich unterbrochen. Gespräche waren nur Einsprengsel, Episoden. Danach schlug die Stille der Einsamkeit wieder über einem zusammen.
    In dieser Einsamkeit drang Imke zu etwas in sich vor, an das sie nicht gern rührte. An das sie auch jetzt nicht rühren wollte. Rasch machte sie das Radio an, suchte einen Sender, der Musik brachte, und schnippte im Takt dazu mit den Fingern. Alles war in Ordnung. Es gab keinen Grund, sich Sorgen zu machen.
     
    Mike hatte den Arm um sie gelegt. Fast konnte Ilka durch die dicken Winterjacken hindurch die Wärme seines Körpers spüren. Sie mochte diese Wärme, mochte seinen Körper. Sie liebte den Geruch seiner Haut. Mike war der einzige Mensch, dem sie die eine oder andere Tür zu ihrem Innern geöffnet hatte. Wenige nur, ganz vorsichtig und bloߟ auf einen schmalen Spalt, jederzeit bereit, sie bei der geringsten Irritation wieder zuzuschlagen. Sie kannte Mike nun seit drei Jahren, aber sie bewegte sich noch immer wie auf Eis.
    Es war nicht so, dass sie ihm nicht vertraute. Im Gegenteil. Keinem vertraute sie mehr als ihm. Sie war nur nicht daran gewöhnt, so zu empfinden, wie sie es für ihn tat. Die Panik saߟ ihr bei jeder Berührung, jedem Wort im Nacken.
    Mike respektierte ihre Zurückhaltung und ihre Scheu, von sich zu erzählen, und wenn er ihr Verhalten manchmal sonderbar fand, so sagte er es nicht. Er war immer für sie da, wenn sie ihn brauchte, und er bot ihr Schutz. Niemand würde ihr zu nahe kommen, solange sie und Mike ein Paar waren.
    Ein Paar. Sie sagte es sich manchmal vor. Voller Sehnsucht. Vielleicht würde es ja irgendwann so sein, dass sie wirklich ein Paar wären. Mit allem, was dazugehörte. Vielleicht. Es fiel ihr schwer, daran zu glauben.

    Ihr war auf einmal kalt. Ein Schauer lief ihr über die Haut. Mike gab ihr seinen Schal. Sie sah ihn an. Wollte lächeln. Doch dann bemerkte sie die Sehnsucht in seinem Blick. Das Lächeln misslang. Sie senkte den Kopf. Was, wenn sie ihn nur unglücklich machte?
     
    Natürlich waren es andere Zimmer gewesen, die hier zu einem groߟen Raum verschmolzen waren, und andere Menschen hatten sie bewohnt, aber wenn Ruben nicht auf die Details achtete, konnte er sich einreden, er habe hier seine Kindheit und Jugend verbracht. Es schien ihm, als klebten die Gefühle von damals noch an den Wänden: Unsicherheit, Trostlosigkeit, Glück, Liebe, Ekel, Hass.
    Und Angst. Fast konnte er das Toben seines Vaters noch hören und das Weinen seiner Mutter. Fast die Schläge noch spüren, die ihn gefügig machen sollten. Auch das Gerede der Nachbarn hatte seinen Weg in diese Zimmer gefunden, in seins und in das nebenan. Unmöglich, es nicht zu hören. Man konnte sich die Ohren zuhalten und hörte es
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