Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Maedchenmaler

Der Maedchenmaler

Titel: Der Maedchenmaler
Autoren: Monika Feth
Vom Netzwerk:
Jugendstil, was sein Herz bei jedem Besuch schneller schlagen lieߟ. Manche Scheiben waren leider blind, aber es hatte sich schon ein Glaser gefunden, der sie aufarbeiten wollte. Einige waren durch einfaches Glas ersetzt worden. Ruben hatte bereits Kontakte geknüpft, um an alte Originale heranzukommen. Geld war kein Problem. Das vereinfachte die Sache.
    »Die Rollläden müssen wir erneuern«, sagte die Architektin mit ihrer verrauchten Stimme irgendwo hinter ihm. »Ein völlig veraltetes System.«
    Ruben mochte diesen Typ Frau nicht besonders. Hosenanzug, Stilettos, das Haar straff zurückgebunden, die Lippen braunviolett, das Gesicht zu einer bleichen Maske geschminkt, die Brauen gezupft, eine verknautschte Handtasche über der Schulter, das Handy griffbereit in einem Auߟenfach. Aber sie war gut. Und diskret. Er hatte Erkundigungen über sie eingezogen.

    Er betrat die Küche. Das schwarz-weiߟe Schachbrettmuster der Bodenfliesen. Die Tür, die in den Garten führte. Die grauen Kacheln an der Wand. Es traf ihn jedes Mal mit voller Wucht. Er lehnte sich an die Wand und schloss die Augen. Doch die Erinnerung lieߟ sich nicht vertreiben.
     
    Es ist Sommer. Sie sitzen beim Abendessen. Drauߟen im Garten glüht noch die Sonne. Die Tür steht weit offen. Vogelgezwitscher dringt herein. Ilka trägt das blaue Kleid, das er so mag. Es schmiegt sich an ihren Körper. Die silberne Kette, die er ihr zum Geburtstag geschenkt hat, schimmert auf ihrer gebräunten Haut. Ilka ist gerade vierzehn geworden. Sie ist so schön, dass Ruben sie am liebsten immer und immerzu malen will.
    Der Vater liest Zeitung. Eine Fliege summt träge am Fenster entlang. Die Mutter erzählt irgendwas. Niemand hört ihr zu, doch das scheint sie nicht zu stören.
    Ilka pustet sich eine Haarsträhne aus der Stirn. Ihr Gesicht ist von der Hitze leicht gerötet. Ruben verspürt eine unbändige Lust, sie zu küssen. Er nimmt sein Glas und hebt es an die Lippen. In diesem Moment sieht Ilka ihn an.
    Ihr Blick ist gleichgültig. So gleichgültig, dass es wehtut. Ruben setzt das Glas ab, ohne zu trinken. Er greift nach dem scharfen Messer, das auf dem Teller mit den Tomaten liegt, und drückt sich die Schneide tief in den linken Handballen.
    Ilkas Augen weiten sich vor Entsetzen. Die Mutter redet weiter. Sie hat nichts bemerkt. Ruben umschlieߟt die Schnittstelle mit den Lippen und leckt das Blut ab, ohne Ilka aus den Augen zu lassen.

    Sie starrt ihn an. Die entsetzliche Gleichgültigkeit ist aus ihrem Blick verschwunden. Ruben bemerkt, dass ihre Hände zittern. Sie versteckt sie unterm Tisch.
     
    »Ist Ihnen nicht gut?«
    Ruben sah den besorgten Blick der Architektin, fühlte ihre Hand auf seinem Arm. Das Lächeln fiel ihm schwer, aber es gelang ihm schlieߟlich doch.
    »Alles in Ordnung. Ich stehe zurzeit nur ziemlich unter Stress.«
    Sie nahm die Hand von seinem Arm, als hätte sie sich verbrannt. Vielleicht war sein Ton zu barsch gewesen. Er hasste es, wenn Menschen ihm zu nahe kamen. Verabscheute Mädchen, die ihn auf der Straߟe anhimmelten. Frauen, die ihm auf Vernissagen mit ihren Blicken zu verstehen gaben, dass er sie interessierte. Er wollte nichts von ihnen. Warum kapierten sie das nicht?
    »Dieser Raum muss bleiben, wie er ist«, sagte er und drehte sich mitten in der Küche einmal langsam um sich selbst.
    »Ja. Das denke ich auch.«
    Sie bewegten sich wieder auf sicherem Boden, konnten scherzen, lachen und sachlich sein. Sie war ein Profi. Nichts anderes erwartete er von ihr.
    Er inspizierte die übrigen Räume. Das tat er jedes Mal und jedes Mal steigerte sich seine Erregung von Zimmer zu Zimmer. Dies hier war das Haus, nach dem er so lange gesucht hatte. Es war dem Haus in seiner Erinnerung verblüffend ähnlich. Er stieg die Treppe hinauf. Zu dem Raum unterm Dach. Sein Herz klopfte schmerzhaft. Fast konnte er es hören.
     
    Imke Thalheim geriet in den dritten Stau und fluchte vor sich hin. Nach zwei Kilometern Stop-and-go beschloss sie, sich nicht weiter zu ärgern. Man konnte so einiges tun in einem Stau. Die Leute beobachten. Automarken und -kennzeichen studieren. Radio hören. Oder einfach denken.
    Sie hatte schon ganze Romane entworfen, während sie Meter um Meter auf einer Autobahn vorankroch. Im Zug funktionierte das nicht so gut. Da drangen von überall her Stimmen und Geräusche an ihr Ohr, die sie störten. Im Auto hatte sie ihre Ruhe. Da klingelten keine Handys, piepten keine Laptops, spielte niemand sich auf,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher