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Der letzte Massai

Der letzte Massai

Titel: Der letzte Massai
Autoren: Frank Coates
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darüber, dass der Mann, der dafür verantwortlich war, dass sich seine Mutter zu Tode geschuftet hatte, und der ihn erbarmungslos verprügelte, keinen leichten Tod gestorben war. Offenbar waren die Aasfresser schon vor seinem Tod über ihn hergefallen.
    Ole Sadera hatte Mantira mit seiner Mutter und einigen wenigen Dorfbewohnern im Wald gefunden. Sein Vater war bei der Verteidigung des
Enkang
gestorben. Mantira kochte vor Wut und Frustration. Er war alt und stark genug, um mit Speer und
Simi,
dem kurzen Massai-Schwert, umzugehen, aber da er noch nicht den Initiationsritus durchlaufen hatte, der ihn zum Krieger machte, konnte er nichts tun. Es war die schlimmstmögliche Lage, in die man geraten konnte: gefangen zwischen den Altersrängen, noch kein Mann, aber auch kein Junge mehr, nicht imstande, Rache an denen zu üben, die sein Leben zerstört hatten.
    Dies hatte eine unauslöschliche Erinnerung bei Mantira hinterlassen. Als er zum Krieger wurde, war der Krieg bereits gewonnen, die verschiedenen Sektionen unter Lenana wieder vereinigt und der Frieden wiederhergestellt. Mantira hatte sich vom Schicksal betrogen gefühlt.
    Für Ole Sadera war der Überfall dagegen eine Befreiung gewesen. Seine neue Stellung als Waise hatte einiges Ungemach nach sich gezogen, ihm aber die Freiheit gegeben, das zu sein, was er sein wollte. Er entschied sich, zwischen den zahlreichen Purko-Gemeinschaften hin und her zu reisen und dort seine Dienste als Hirtenjunge anzubieten, wo man willens war, ihm Essen und Unterschlupf zu gewähren. Wenn es ihm nach einem dauerhafteren Heim verlangte, kehrte er in die Gemeinschaft der Überlebenden seines
Enkang
zurück, insbesondere zu Mantira und seiner Familie. Dort wurde er wie ein verlorener Bruder und Sohn behandelt. Selbst nachdem Mantira zu einem
Morani
geworden war – eine Zeit, in der die neu aufgerückten Krieger ihren jüngeren, noch nicht aufgenommenen Brüdern das Leben zur Hölle machten –, blieben er und Ole Sadera Freunde.
    Nun war Ole Saderas Zeit gekommen, in die Gemeinschaft der Krieger eingeführt zu werden, aber dem gingen zunächst noch eine Reihe von Zeremonien voraus. Als Erstes die
Emorata,
die Beschneidungszeremonie. Dies war ein Ereignis von großer Wichtigkeit für die Familien der Neulinge, die den jungen Männern dabei halfen, sich auf das Ereignis vorzubereiten. Mantira kam Ole Sadera einem Familienmitglied am nächsten, und dies war nicht das erste Mal, dass er Ole Sadera Beistand geleistet hatte. Ohne ihn wäre er vielleicht gar nicht für die Beschneidung in Frage gekommen, was ihn daran erinnerte, dass er den Beitrag seines Freundes zu diesem Tag zu würdigen hatte.
    Er wischte sich den Ocker an einem Stück Kalbsleder von den Händen und legte eine Hand auf Mantiras Schulter. »Ich habe mich noch nicht bei dir bedankt, mein Bruder«, sagte er.
    »Wofür denn?«
    »Dass du mir dabei geholfen hast, heute hier zu sein.«
    »Das stimmt allerdings. Wenn ich dich nicht hierherbugsiert hätte wie ein Hirtenjunge, der ein dummes Schaf zur Herde zurücktreibt, dann hättest du den Weg nie gefunden.«
    »Nein, Nkapilil. Du weißt, was ich meine. Ohne dich hätte ich die Prüfung niemals geschafft.«
    Ob ein Junge alt genug war, um beschnitten zu werden, wurde davon abhängig gemacht, ob er imstande war, ein neugeborenes Kalb auf seinen Schultern nach Hause zu tragen. Mantira wusste, dass Ole Sadera, der schmächtiger war als die meisten Jungen seines Alters, große Schwierigkeiten mit dieser Prüfung haben würde, daher hatte er die kleinste Färse in der ganzen Gegend ausfindig gemacht und heimlich dafür gesorgt, dass sie in die Nähe des
Enkang
gebracht wurde, bevor sie kalbte. Selbst dann noch war es einzig Ole Saderas Entschlossenheit zu verdanken, die ihn und das Kalb bis zur Einfriedung des
Enkang
brachte. In jener Nacht hatten der Junge, der ein Krieger sein würde, und der Krieger, der dies möglich gemacht hatte, zusammen bis zum Morgengrauen Honigbier getrunken.
    Als Mantira sah, dass Ole Sadera nicht zulassen wollte, dass die Angelegenheit mit einem Lachen abgetan wurde, unterließ er weitere Versuche. »Wenn mir jemand Dank schuldet, dann sind es deine Altersgenossen, denn sie werden in dir einen würdigen
Olaiguenani
haben.«
    Ole Sadera hatte erst an jenem Morgen erfahren, dass er zum Anführer seines Altersranges gemacht werden sollte, dem
Olaiguenani,
was bedeutete, dass er bei wichtigen Stammestreffen für seine gesamten Altersgenossen sprechen und
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