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Der letzte Massai

Der letzte Massai

Titel: Der letzte Massai
Autoren: Frank Coates
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Tapferkeit zeigen und das tun, was für dein Volk getan werden muss. Nicht nur für deinen Altersrang, nicht nur für die Laikipiak oder die Purko, sondern für
alle
Massai. Verstehst du das, mein Sohn?«
    Parsaloi nickte stumm, denn er traute seiner Stimme nicht.
    Mbatiani stimmte einen Sprechgesang an, eine Litanei seiner Vorfahren, einem Gebet gleich, das Parsaloi in seiner Erinnerung behalten sollte.
    »Ich bin der Sohn des
Laibon
namens Supeet, der der Sohn des
Laibon
namens Kipete war, der der Sohn des
Laibon
namens Parinyombi …«
    Die bebende Stimme erfüllte Parsalois Kopf und fuhr fort, bis sie ihn zu Maasinta zurückgeführt hatte, den ersten Massai-Mann, von Enkai gesegnet und mit den Rindern der ganzen Welt betraut.
    Der monotone Gesang ließ Parsalois Lider schwer werden, aber mit einem Mal erwachte er wie aus einem langen Schlaf. Es war jetzt ganz still in der Hütte, und der leichte Druck, den er zuvor auf seiner Haut verspürt hatte, war verschwunden.
    Er blickte zu der Lagerstätte hinüber. Der
Große Laibon
lag ganz still da. Seine Augen waren trüb und ausdruckslos. Die Hand, die wie ein Schmetterling im Dunkeln geflattert hatte, schien bleiern. Parsaloi griff nach ihr, zögerte einen Moment, ehe er sie berührte. Sie war kalt. So kalt, als gehörte sie einem Mann, der schon seit vielen Stunden tot war. Möglicherweise seit dem frühen Morgen. Dieses Herz hatte bereits aufgehört zu schlagen, bevor das ganze
Enkang
durch das
Boma
-Tor geschritten war, um sein Klagelied anzustimmen.

Kapitel 3
    1890
    S ieh mal einer an«, sagte Mantira kopfschüttelnd mit einem Grinsen, das so breit war wie der Fluss, der an ihrem Lager vorüberfloss. »Ich weiß noch, wie du kaum mehr ein kleiner Tropfen Eselspisse warst. Und jetzt – ei, ei! Du hast es weit gebracht, seitdem du mit Steinen nach Löwen geworfen hast.«
    Ole Sadera schmierte sich zur Vorbereitung auf die viertägigen Tänze, die schon bald beginnen würden, roten Ocker auf die Beine. Alle jungen Männer seiner Altersgruppe waren im Begriff, den ersten Teil der Prozedur zu beginnen, die sie letztlich zu Kriegern machen würde. Er richtete sich auf und erwiderte das Grinsen.
    »Und es ist gut zu wissen, dass du gelernt hast, dich mit deinem Hintern nicht mehr auf dornige Bäume zu hocken.«
    Sie lachten beide. Keiner von ihnen hatte jemals wieder den Tag erwähnt, als Ole Sadera zum letzten Mal vor den Hirtenjungen davongelaufen war und ein Löwe Mantira auf einen Baum getrieben hatte. Ole Sadera freute sich, dass es sein Freund war, der die Angelegenheit in Erinnerung brachte, und das ausgerechnet an diesem besonderen Tag – dem Tag, an dem Ole Sadera die größte Ehrung erhalten würde. Das besiegelte ihr ohnehin schon starkes Band der Freundschaft – eine Freundschaft, die fünf schwierige Jahre überstanden hatte.
    Als Ole Sadera vor Jahren von Mbatianis Beerdigung zurückgekehrt war, hatte ihn sein Weg durch eine Landschaft geführt, die die Spuren der ersten Welle eines vernichtenden Krieges trug. Dörfer lagen in Schutt und Asche, und Täler und Berghänge waren mit den Überresten der Toten übersät. Der Wind trug den Gestank des Todes mit sich, und der Himmel war mit kreisenden Aasgeiern bedeckt.
    Sendeyus treue Krieger aus dem Süden hatten in einem Präventivschlag mit dem Morden begonnen, um Lenana und seine Anhänger zu zwingen, den eisernen Stab des
Laibon
seinem rechtmäßigen Besitzer zurückzugeben. Ole Sadera wusste, dass die Massai aus dem Norden angesichts solcher Grausamkeit nicht untätig herumsitzen würden. Es war Krieg, genau so, wie es die Ältesten in jener Nacht vorausgesagt hatten, als Mantira und er sie am Lagerfeuer belauscht hatten.
    Als Ole Sadera sein eigenes
Enkang
erreichte, hatte dort ein ebensolches Gemetzel stattgefunden wie in den Dörfern, an denen er unterwegs vorbeigekommen war. Leichen lagen über eine große Fläche verstreut und boten ein Festmahl für Hyänen, Schakale und Geier. Er vertrieb sie mit Stöcken und Steinen, bevor er sich auf seine grausige Suche machte. Als er die Leiche gefunden hatte, nach der er Ausschau hielt, hatten die Aasfresser bereits die Genitalien gefressen und begonnen, sich über die Eingeweide herzumachen. Ole Saderas Magen rebellierte, aber er zwang sich, die Züge seines Stiefvaters mit einem objektiven Blick zu betrachten, ohne die Angst, die ihn in seiner Gegenwart immer beherrscht hatte.
    Er verspürte keine Reue angesichts seines Gefühls der Genugtuung
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