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Der letzte Massai

Der letzte Massai

Titel: Der letzte Massai
Autoren: Frank Coates
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sich dabei um die Fähigkeit handeln, in die Zukunft zu sehen oder einem entfernten Feind Schmerz zuzufügen. Oder die Kräfte verliehen diesem Kind die Einsicht eines weisen Mannes oder die Fertigkeiten eines großen Liebhabers. Welche Kräfte ein Stein auch immer zu verleihen vermochte, zwei Steine waren unvorstellbar. Lenana hielt es schlicht für unmöglich. Doch wenn er an seine erste Begegnung mit dem Jungen zurückdachte, musste er zugeben, dass es ihm vorgekommen war, als ob er irgendeine fürchterliche Macht besäße.
    Der Junge war trotz seiner schmalen Gestalt – oder gerade deswegen – stark, dies allerdings weniger im körperlichen als im geistigen Sinne. Er besaß genug Widerstandskraft, um die vielen Schwierigkeiten zu überwinden, die ihm das Leben in den Weg gelegt hatte. Es war diese Disziplin und Charakterstärke, die die Mitglieder seiner Il-Tuati-Altersgruppe in ihm erkannt hatten und weshalb Lenana nach anfänglichem Zögern ihrem Vorschlag gefolgt war und ihn zu ihrem
Olaiguenani
ernannt hatte.
    Und in dieser Funktion als Sprecher seines Altersranges stieg er nun den Berg hinauf, um mit seinem
Laibon
unter dem heiligen Feigenbaum zu sitzen und von dem Krieg zu berichten, den er und seine
Moran
führen sollten.
    »Sopa«,
sagte Lenana zu Begrüßung.
    »Hepa«,
erwiderte Ole Sadera. »Ich will hoffen, dass es deinen Rindern gutgeht.«
    »Ja, so ist es. Und den deinen?«
    »Vielen Dank, sie erfreuen sich guter Gesundheit.«
    Lenana nahm auf einem flachen Felsen Platz und ließ erkennen, dass es nun angemessen war, den eigentlichen Grund für Ole Saderas Besuch zu erörtern. Er bedeutete dem jüngeren Mann, sich zu setzen, und wartete, bis Ole Sadera einen geeigneten Stein für sich gefunden hatte.
    »Ich habe von der Ankunft der Swahili-Karawane gehört«, sagte Lenana.
    »Es ist ein Frevel.«
    »Also ist es an der Zeit«, sagte der
Laibon
nach einem kurzen Moment des Schweigens.
    »Ja.«
    »Sind die
Moran
bereit für diesen Angriff?«
    »Das sind sie.«
    »Und was sagt Mantira dazu?«, erkundigte sich Lenana.
    Mantira war der
Olaiguenani
der älteren Krieger – der Gruppe von Männern, die seit beinahe dreizehn Jahren Krieger waren.
    Ole Sadera hörte aus freien Stücken und der Tradition gehorchend auf seinen älteren Freund, wenn es um wichtige Angelegenheiten wie den Krieg ging.
    »Wir stimmen darin überein, dass es für die Il Tuati an der Zeit ist, unsere Speere blutig zu machen.«
    »Und was hält er von deiner Entscheidung, die Karawane anzugreifen?«
    »Auch wenn er glaubt, dass die Zeit gekommen ist, vertritt er die Ansicht, diese Karawane nicht anzugreifen, da sie zu stark sei, die Waffen zu zahlreich.«
    »Ein vernünftiger Rat.«
    »Aber meine
Moran
sind bereit. Ihre Ungeduld wächst mit meinem Zögern.«
    »Die Jugend giert danach, sich zu beweisen. Ich war auch einmal jung.« Das ledrige Gesicht des älteren Mannes legte sich in Falten, als ein kleines Lächeln seine Lippen umspielte, das aber rasch wieder erstarb. »Warum also zauderst du? Plagen dich Zweifel?«
    »Nein. Wir müssen ganz eindeutig handeln, den Swahili und Wakikuyu eine Lehre erteilen.« Ole Sadera verstummte und starrte auf seine Hände hinab, die er ineinandergelegt hatte und zusammenpresste.
    »Was ist dann der Grund?«
    »Unsere Krieger vermögen die Swahili wie Fliegen auf einem Kuhhintern wegzufegen, aber mir geht die Prophezeiung deines Vaters nicht aus dem Sinn.«
    »Du meinst die rosafarbenen Männer auf einem schwarzen Nashorn, nicht wahr? Das beunruhigt mich ebenso.«
    »Und all das Unglück, das er vorausgesagt hat. Unsere Kundschafter berichten, dass sich die Weißen in Lagern am Rande des Massai-Landes sammeln. Werden sie es dabei belassen und sich damit zufriedengeben, auf ihrer verfluchten Schlange hindurchzureisen? Werden sie die Massai und ihr Vieh in Frieden lassen?«
    »Die Wakamba sagen, dass es viele seien und ihre Waffen stark.«
    »Ein Grund mehr, warum wir die Stämme in Vorbereitung auf den Krieg gegen die Weißen vereinigen sollten, anstatt einander zu töten, wie wir es all die vielen vergangenen Zeiten getan haben.«
    »So hat es sich nun einmal zugetragen. Wir können die Vergangenheit nicht ungeschehen machen.«
    »Das ist wahr.«
    »Und was sein muss, das lässt sich nicht verhindern.«
    »Sprichst du von den Weißen oder von der Karawane?«
    Lenana ließ einen Augenblick verstreichen, ehe er »von beidem« antwortete.
    Danach saßen sie schweigend da, und jeder hing seinen
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