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Der letzte Massai

Der letzte Massai

Titel: Der letzte Massai
Autoren: Frank Coates
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sie sogar, falls nötig, in den Krieg führen würde. Dies war eine große Ehre für einen frisch Initiierten, der jünger und kleiner war als die anderen.
    »Ich werde dir keine Schande machen«, sagte er.
    »Es war nicht meine Entscheidung, dich dafür auszuwählen, das haben weisere Köpfe entschieden.«
    »Aber da du selbst ein
Olaiguenani
bist, hat dein Wort viel Gewicht gehabt. Ohne dich wäre ich nicht hier. Es würde noch viele Jahre bis zu meiner Beschneidung dauern, und ich würde gewiss kein
Olaiguenani
sein.«
    Mantira griff nach dem Kalbsleder, wischte seine Hände ebenfalls daran ab und warf es zur Seite. »Sieh mich an, Parsaloi«, sagte er und starrte ihn wütend an. »Das ist das letzte Mal, dass ich von dir hören möchte, wie du schlecht von dir redest. Das ist kindisch. Deiner Stellung unwürdig. Es ist kein Platz für falsche Bescheidenheit in einem Anführer. Als
Olaiguenani
musst du führen. Du musst das tun, was für deine
Moran
-Brüder das Richtige ist. Und ich hatte, ehrlich gesagt, nichts mit deiner Wahl zu tun. Du magst jünger und nicht so kräftig sein wie die meisten, aber du besitzt Fähigkeiten, die viele bewundern, eine Stärke und Entschlossenheit, um die dich andere nur beneiden können. Du allein hast dich zu dem gemacht, der du bist. Du hast Respekt verdient. Das ist etwas, das Größe allein nicht für sich zu beanspruchen vermag.«
    »Ich … ich danke dir für deinen Rat, mein Freund. Er ist, wie immer, sehr willkommen.«
    »Gut! Denn nun wirst du den Mund halten und dich ausruhen. Es liegen zwei Tage der weißen Tänze und zwei der roten vor dir. Du wirst alle Kraft in deinen Beinen für den Tanz benötigen und, wenn du Glück hast, auch alle Kraft in deinem schon bald beschnittenen Viehtreiberstab für das, was folgen könnte.«
     
    Lenana stand unter dem heiligen Feigenbaum und sah zu, wie Ole Sadera den Hang heraufkam. Er bewegte sich wie eine Katze, setzte seine Füße zwischen die Grasbüschel des gewundenen Weges den Berg hinauf – ein Weg, den nur das Auge eines Hirten zu erkennen vermochte. Man sah das Spiel seiner langen Muskeln unter der schweißbedeckten, glänzenden Haut seines straffen, gedrungenen Körpers, als er den Griff seines Speeres beim Klettern zu Hilfe nahm. Er schlängelte sich zwischen dem verkrüppelten Dornbusch und den rundlichen grauen Felsbrocken hindurch, die den knorrigen Feigenbaum fetten Wächtern gleich zu bewachen schienen.
    Schon vor seiner Aufnahme in die Gruppe der Krieger hatte Ole Sadera Lenanas Aufmerksamkeit erregt. Er war zum
Olaiguenani
der zukünftigen Il-Tuati-Altersgruppe ernannt worden. Die jüngere der beiden Altersgruppen, aus denen die Kriegsränge bestanden, war immer die mühseligste, und es lag in der Verantwortung des
Olaiguenani,
dass ihr Überschwang in sinnvolle Beschäftigungen floss. Lenana hatte anfangs nur schwer verstehen können, warum der junge Ole Sadera von seinesgleichen benannt worden war. Er war schmächtig und nicht so groß wie andere Gleichaltrige, und dennoch musste Lenana feststellen, dass er all die wichtigen Kriterien erfüllte, die an einen
Olaiguenani
gestellt wurden, und konnte nicht widersprechen.
    Ole Sadera kannte sich gut aus in den Traditionen und der Geschichte der Massai. Es war fast so, als habe er die ganze Zeit zu Füßen der Ältesten gesessen und deren endlose Erzählungen aus der Vergangenheit aufgesogen. Außerdem war er ein guter Redner.
    Lenana hatte gehört, dass er in der Zeit nach dem Krieg lange von einer Purko-Gruppe zur anderen gezogen war und deren Vieh gehütet hatte, um sich sein Essen zu verdienen. Ganz offenbar hatte ihn das die Fertigkeit gelehrt, Menschen mit Worten freundlich zu stimmen.
    Er besaß zweifellos einen starken Charakter, der wohl in seiner schweren Kindheit geformt worden war, denn es hieß, dass ihn sein Stiefvater aus Furcht oft geschlagen hatte, um ihn seinem Willen zu unterwerfen. Viele der älteren Purko wussten von Ole Saderas Geburt im Wasser des Uaso Nyiro zu berichten und wie er, als ihn seine Mutter aus dem Fluss zog, einen Stein in jeder Hand gehalten hatte. Lenana betrachtete dies mit Skepsis. Es war die Art von Geschichte, die eine Laikipiak-Mutter unter der Verwandtschaft ihres neuen Ehemannes verbreitete, damit ihr Sohn, den sie in eine feindliche Welt geboren hatte, überlebte. In den Lehren der Ältesten war die Rede davon, dass ein Kind, das mit einem Stein in der Hand geboren wurde, gewisse unbestimmte Kräfte erbte. Es konnte
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