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Der letzte Massai

Der letzte Massai

Titel: Der letzte Massai
Autoren: Frank Coates
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debattierten sie höflich, plauderten oder erzählten einander bis tief in die Nacht Geschichten. Doch heute Nacht stimmte etwas nicht, denn die alten Männer plapperten auf eine höchst ungebärdige Weise durcheinander.
    »Schweigt!«, rief der, den sie Lekuta nannten. »Wollt ihr euch herumzanken und aufführen wie die Frauen auf dem Markt? Lasst den sprechen, der den Olivenstab hält!«
    Alle Augen richteten sich auf einen der Ältesten, der erstaunt schien, plötzlich im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen, bis er bemerkte, dass er den Olivenstab in der Hand hielt.
    »Ich habe gehört, dass der
Laibon
dem Tode nahe ist«, sagte er. »Und dass seine beiden Söhne sich auf den Kampf vorbereiten, um über die Nachfolge zu entscheiden.«
    Mehrere Hände streckten sich dem Feuer entgegen. Der Olivenstab wurde an den am nächsten Sitzenden weitergereicht.
    »Mbatiani ist dem Tode nah, das ist wahr. Aber mir ist zu Ohren gekommen, dass er Sendeyu herbeirufen ließ, den ältesten Sohn seiner ersten Frau, in der Absicht, ihm den heiligen eisernen Stab zu übergeben. Doch Lenana hat seinen Halbbruder von seinen treu ergebenen
Moran
in seiner Hütte einsperren lassen und seinen Vater getäuscht, damit er ihn bei der Nachfolge berücksichtigt.«
    Der Olivenstab wurde weitergereicht.
    »Was höre ich da für einen Unsinn? Glaubt ihr wirklich, dass der
Große Laibon
solch einen törichten Fehler begehen würde? Ist Mbatiani nicht der mächtigste
Laibon,
der jemals gelebt hat? Hat er uns nicht die Medizin gegen die Fallsucht gegeben? Hat er nicht die schreckliche Dürre und auch ihr Ende vorhergesagt? Es ist respektlos zu behaupten, er habe sich geirrt. Die Wahrheit ist, dass er Lenana gewählt hat, der zwar nicht der Sohn seiner ersten Frau ist, dafür der älteste Sohn seiner Lieblingsfrau.«
    Ein einvernehmliches Nicken folgte seinen Worten.
    Der Stab wurde weitergereicht.
    »Der
Große Laibon
war in der Tat bei vielen Gelegenheiten unser Retter. Nicht nur wegen seiner Dienste in Zeiten des Hungers und der Krankheit, sondern auch wegen seines weisen Rats in Zeiten der Unruhen unter unserem Volk. Wie viele Male war er die Stimme der Vernunft, wenn die Hitzköpfe unter den
Moran
das große Tal am liebsten in die Flammen des Krieges gestürzt hätten?«
    Ein anderer ergriff den Olivenstab. Er hatte noch nicht allzu lange den Rang eines Ältesten inne, war aber davor ein sehr angesehener
Morani
gewesen.
    »Ja, es mag schwer zu glauben sein, dass Mbatiani in solch einer wichtigen Angelegenheit wie seiner Nachfolge einen Fehler begehen könnte, aber wie viele von euch haben ihn in jüngster Zeit gesehen?« Es herrschte Schweigen um das Feuer. »Nun, ich habe meine Schwester besucht, deren Mann derselben Gruppe entstammt wie Mbatiani, und während ich dort war, habe ich dem
Großen Laibon
einen Besuch abgestattet, daher kann ich euch sagen, dass er sehr alt und schwach ist.« Seine dunklen Augen blickten von einem zum anderen. »Sehr alt und schwach. Das habe ich mit meinen eigenen Augen gesehen. Und lasst euch noch eines gesagt sein. Ich habe von meinem Schwager gehört, dass der alte
Laibon
tatsächlich einen Fehler begangen hat.«
    Er verstummte, bis sich der lautstarke Protest gelegt hatte.
    »Lenana hat zufällig mit angehört, wie Mbatiani Sendeyu aufgefordert hat, am nächsten Morgen bei Tagesanbruch in seine Hütte zu kommen. Lenana kroch vor Sonnenaufgang aus der Dunkelheit hervor, wohl wissend, dass der
Große Laibon
kaum noch sehen konnte, und machte ihn glauben, dass der Tag schon angebrochen war und er Sendeyu vor sich hatte. Und durch diesen Betrug gelangte der eiserne Stab in Lenanas Hände, und daher wurde ein großer Fehler begangen.«
    Ein lebhafter Wortwechsel entbrannte, und es dauerte eine Weile, bis die Ordnung wiederhergestellt war und der nachrangige Älteste fortfahren konnte.
    »Mbatiani war tatsächlich ein großer
Laibon.
Er hat in der Vergangenheit Wunder für unser Volk bewirkt. Aber nun versagen seine Kräfte, und er hat einen schweren Fehler begangen. Es wird Krieg geben.«
     
    Parsaloi war schon seit vier Tagen zu Fuß unterwegs. Vier Tage, in denen er eigentlich Sianois Ziegen hätte hüten sollen, was ihm zweifellos eine Strafe einbringen würde. Vier Tage, in denen er von Hyänen bedroht, beinahe von einer zornigen Nashornmutter angegriffen worden wäre, die ihr Junges verteidigte, und oft Wasser bitter nötig gehabt hatte. Parsaloi war seit vier Tagen unterwegs, weil er sich zu dem Dorf
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