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Der Leichenkeller

Der Leichenkeller

Titel: Der Leichenkeller
Autoren: Linda Fairstein
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warum ein Mensch einem anderen Geschlechtsverkehr aufzwingt. Psychologen verbreiten sich über Macht und Kontrolle und Wut, aber sie haben nicht wie ich Dutzende Male vor einer Geschworenenbank gestanden und versucht, dem Durchschnittsbürger ein Verbrechen nahe zu bringen, für das es keinerlei Motiv zu geben scheint.
    Erklären Sie mal den Geschworenen, warum der nette Neunzehnjährige von nebenan, der ihnen im Gerichtssaal gegenübersitzt, in eine fremde Wohnung einbrach, um etwas zu klauen, aber von dem Anblick einer achtundfünfzigjährigen Hausfrau vor dem Fernseher so erregt wurde, dass er ihr ein Messer an die Kehle hielt und sie vergewaltigte. Erklären Sie, warum der Hausmeister eines Bürogebäudes in Midtown während seiner Nachtschicht eine Reinigungskraft in eine dunkle Besenkammer drängte und sie zum Oralsex zwang.
    »Darf ich vortragen, was ich habe, Euer Ehren?«
    »Gleich.« Moffett winkte ab. Der granatrote Stein des Rings, den er an seinem kleinen Finger trug, funkelte in der spätnachmittäglichen Sonne. »Peter, erzählen Sie mir von Ihrem Mandanten.«
    »Andrew Tripping. Zweiundvierzig Jahre alt. Keine Vorstrafen –«
    »Das stimmt nicht ganz, Peter.«
    »Keine, die Sie vor Gericht verwenden können, hab ich Recht, Alex? Wie wär’s, wenn Sie mich ausreden ließen?«
    Ich legte meinen Block auf den Schreibtisch und begann, alle mir bekannten Fakten über Tripping aufzulisten, um notfalls die Beschreibung seines Anwalts vervollständigen zu können.
    »Yale-Absolvent. War bei den Marines. Hat circa zehn Jahre lang für die CIA gearbeitet. Jetzt ist er als Consultant tätig.«
    »Er und alle anderen, die keinen Job haben. Jeder Arbeitslose nennt sich heutzutage Consultant. In welchem Bereich?«
    »Sicherheitsangelegenheiten. Auf Regierungsebene. Terrorismus. Er war lange im Nahen Osten, davor in Asien. Ich kann Ihnen nicht zu viele Einzelheiten nennen.«
    »Sie können nicht oder Sie wollen nicht? Wenn Sie es mir sagen, müssen Sie mich umbringen?« Moffett war der Einzige, der seine Witze komisch fand. Er nahm die Anklageschrift aus der Gerichtsakte. »Zweihundertfünfzigtausend Kaution? Er scheint doch was zu können – oder die richtigen Leute zu kennen.«
    Peter lächelte mich an. »Unsere liebe Ms. Cooper hat bei der Festnahme etwas übertrieben. Es ist mir gelungen, die Summe bei der Strafverhandlung zu halbieren. Er saß eine Woche auf Rikers Island, bevor ich ihn rausholen konnte.«
    »Er sieht jedenfalls nicht aus wie ein Vergewaltiger.«
    »Was ist es, Euer Ehren? Der Blazer, die Ripskrawatte, die Nickelbrille? Oder weil er der erste Weiße ist, den Sie dieses Jahr auf der Anklagebank sitzen haben?« Es hatte keinen Sinn, jetzt schon die Geduld zu verlieren. Die Geschworenen würden es genauso sehen wie der Richter. Bei dem Wort »Vergewaltigung« erwarteten sie einen Neandertaler, der, den Prügel in der Hand, hinter einem Baum im Central Park hervorlugte.
    Jetzt hatte ich Moffetts Aufmerksamkeit. »Wer ist die Betroffene?«
    »Paige Vallis, sechsunddreißig. Sie arbeitet bei einer Investmentbanking-Firma.«
    »Kennt sie den Kerl? Ist das eine dieser Beziehungstaten?« – »Ms. Vallis und Mr. Tripping hatten sich zuvor zwei Mal getroffen. Ja, er hatte sie an dem Abend, an dem es passiert ist, in ein Restaurant eingeladen.«
    »War Alkohol mit im Spiel?«
    »Ja, Sir.«
    Moffett sah wieder auf die Anklageschrift und verglich die Angaben zum Tatort mit der Privatadresse des Angeklagten. Jetzt ergaben seine primitiven Kritzeleien eine Weinflasche und zwei Gläser. »Danach sind sie vermutlich zu ihm gegangen.«
    Es hätte mich nicht überrascht, wenn er ausgesprochen hätte, was er in diesem Augenblick zweifelsohne dachte: Was hat sie auch anderes erwartet, wenn sie um Mitternacht zu ihm nach Hause ging, nach einem Abendessen bei Kerzenschein und einer Flasche Wein? Mit dieser Logik hatte ich es vor Gericht schon unzählige Male zu tun gehabt. Moffett verzog nur das Gesicht und nickte bedächtig »Irgendwelche Verletzungen?«
    »Nein, Sir.« Die meisten Opfer von Sexualverbrechen kamen ohne äußerlich sichtbare Körperverletzungen in die Notaufnahme. Jeder frisch gebackene Staatsanwalt konnte einen Schuldspruch erwirken, wenn das Opfer grün und blau geschlagen war.
    »DANN?«
    Ich nickte. Peter Robelon antwortete an meiner statt. »Na und, Euer Ehren? Mein Klient gibt zu, dass er und Ms. Vallis Sex hatten. Alex braucht die Zeit des Gerichts nicht mit ihrem Serologieexperten zu
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