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Der Leibarzt der Zarin

Der Leibarzt der Zarin

Titel: Der Leibarzt der Zarin
Autoren: Heinz G. Konsalik
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daß jede Pyramide Tausende von Sklaven gekostet hat? Man nennt den Griechenkönig Alexander einen großen König. Wer zählt die Toten, die ihn groß gemacht haben? Ich werde Rußland zum herrlichsten Land der Erde machen, und es soll keinen geben, der die Liter Blut nachmißt, mit denen ich den Mörtel zu diesem Bau anrühre. Nein!« Iwan schüttelte den Kopf. »Ich brauche Trottau noch!«
    »Er ist mein Arzt!« unterbrach Marja ihn hart.
    »Dann nehme ich ihn dir weg!«
    »Gib mir Lumansowski dafür!«
    »Ein böser Tausch! Ich brauche einen Bojaren zum Töten!«
    »Nimm Boris Godunow.«
    »Den brauche ich für das Säubern. Morden ist für Boris Godunow eine Leidenschaft wie für andere das Jagen von Wölfen.«
    »Eines Tages wird er vielleicht auch dich erlegen …«
    »Mich?« Der Zar lachte laut. »Mich tötet nur Gott – und damit hat es Zeit.« Er drehte sich um und stapfte zur Tür, die in sein Schreibzimmer führte. »Warum reden wir soviel? Ich habe Gott den Bojaren Lumansowski abgehandelt, ich darf ihn töten. Und ich will diesen Tod genießen, um stark zu werden für die Monate, in denen Rußland beten und weinen, schreien und sterben wird, bis die neue Zeit geboren ist.«
    Er stieß die Tür auf. Lumansowski stand vor der geöffneten Falltür. Zwei Strelitzen waren schon auf der Treppe, Fackeln in den Händen.
    »Gnade!« brüllte Lumansowski. »Erhabener Zar, Gott ist mein Zeuge: Ich war Euch immer treu ergeben. Skuratow lügt, und Godunow lügt. Nur Lügner sind um Euch, Herr. Gnade! Nehmt meine Güter bei Nowgorod …«
    »Sie gehören mir schon«, sagte der Zar ohne Bewegung. »Alles gehört von jetzt an dem Zaren – daß ihr Bojaren das nicht begreift! Gehen wir!« Er reichte Marja die Hand, stieg mit ihr die Treppe hinunter. Ein Strelitz leuchtete voraus, der andere stieß Lumansowski vor sich her.
    »Wohin, erhabener Zar?« fragte der erste Strelitz. Seine Stimme bebte vor Erregung.
    »Ich gehe voraus.« Iwan nahm eine Fackel und stieg in die modrige, glitschige Dunkelheit hinab.
    Er ist wahnsinnig! dachte Marja. Bald werde ich seine Witwe sein, die reichste und mächtigste Witwe der Welt. Ich werde Iwan Trottaus Körper als Kranz auf den Sarg legen – aber der Kopf wird mir gehören. Man soll ihn mir vorantragen wie eine Krone.
    Wie ich ihn liebe, diesen blonden deutschen Bären! Und er betäubt mich mit einem Pulver, um vor mir zu flüchten.
    Hinter ihr begann Lumansowski laut zu beten. Seine Stimme hallte durch die Dunkelheit und brach sich an den Gewölben. »Deine Barmherzigkeit ist groß, o Herr, aber vergiß nicht, daß du auch gesagt hast, ich bin ein strafender Gott …«
    Sie kamen in den Teil der Unterwelt, in dem die Decken höher, aber auch der Geruch der Bären spürbar wurden …

19
    Trottau saß mit Xenia in ihrem Zimmer und sah ihr zu, wie sie aus einem Leinenlappen ein neues Umhängetuch für Massja nähte.
    Sie waren wieder eine Stunde oben in dem kleinen Garten im Schnee gewesen. Xenia hatte tief die reine Luft geatmet und war dann, müde und eingewickelt in drei Decken, eingeschlafen. Schlafend hatte Trottau sie wieder hinabgetragen. Dann hatten sie eine Pfanne mit Speck, Eiern und geschmorten Gurken gegessen und Blattjew zugehört, der jeden Tag ein Stündchen auf seiner Schalmei blies.
    Jetzt hatte Blattjew die Bären geputzt. Er war der einzige, der zu ihnen in den Käfig gehen konnte und dem sie sogar aus der Hand fraßen. Er kannte genau ihre Launen. Er ohrfeigte sie, wenn sie ihn anknurrten, oder hieb ihnen die Faust auf die empfindliche Nase, wenn sie sich aufrichteten und bösartig wurden.
    Massja stand an einem Kessel mit heißem Wasser und spülte die Teller, als Blattjew ins Zimmer stürzte und wild herumgestikulierend irgend etwas lallte. Er zeigte nach draußen, bekreuzigte sich, raufte seine Haare und rannte wieder hinaus.
    Massja war blaß geworden und rannte Blattjew nach.
    »Was hat er?« fragte Trottau.
    »Ich weiß es nicht.« Xenia rückte näher an ihn heran. »So habe ich ihn noch nie gesehen. O Gott, hoffentlich ist kein Bär gestorben!« Sie faltete die Hände. Draußen hörte man Massja rufen, dazwischen erklang Blattjews heiseres Lallen.
    »Das letztemal starb ein Bär, da war ich zehn Jahre alt. Der Zar peitschte Väterchen, daß er sich für fünf Tage nicht rühren konnte. Am sechsten Tag kam ein neuer Bär herunter, und der Zar ließ sagen: ›Igor Igorowitsch, ich habe den toten Bären untersuchen lassen. Er war gut gepflegt und starb an
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