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Der Leibarzt der Zarin

Der Leibarzt der Zarin

Titel: Der Leibarzt der Zarin
Autoren: Heinz G. Konsalik
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bist eine gute Frau.«
    Die Schritte näherten sich, verstummten vor der Tür zu Xenias Zimmer. Man hörte Massja auf die Knie fallen und sagen: »Erhabener Zar, wir ernähren uns von Eurer Güte.«
    In diesem Augenblick bäumte sich Xenia auf und drückte beide Hände vor den Mund. Ein Hustenreiz hatte sie überfallen. Sie versuchte, den Atem anzuhalten, preßte die Handflächen gegen die Lippen und starrte Trottau mit einer schreienden Angst an. Hilf mir, bettelten ihre Augen, Andrej, hilf mir doch! Ich darf nicht husten, sie hören es. Halt es auf, Andrej …
    Trottau nahm ihren Kopf, riß ihn unter seinen Rock und deckte beide Arme darüber. Aber es war vergeblich. Der Husten brach aus Xenia heraus, dieser bellende, schreckliche, hohle Husten der Lungenkranken.
    »Was ist das?« fragte die Zarin draußen. Sie drehte sich um und starrte auf den Vorhang, der das Zimmer von dem Vorplatz abtrennte. Der Zar war schon weitergegangen. Blattjew leuchtete ihm mit der Fackel voraus. »Ist da noch ein Mensch?« fragte Marja.
    »O Mütterchen«, stammelte Massja. Sie umfing die Stiefel der Zarin, klammerte sich an ihnen fest. »Es ist nur ein Kind.. Mein Kind. Es ist krank, die Lungen … Es hustet sich den Tod heraus. Bleibt hier, Mütterchen, begebt Euch nicht in Gefahr.«
    Die Zarin trat wortlos nach Massja und traf sie an der Stirn. Sie fiel auf die Steinplatten, schlug die Schürze über ihren Kopf und blieb liegen wie ein Bündel dunkler Lumpen.
    Mit einem Ruck riß die Zarin den Vorhang zur Seite. Und dann sahen sie sich an, Marja und Trottau. Ihre Blicke prallten wie Schwerter aufeinander, und es rissen Wunden in ihren Herzen auf, die nie wieder heilten.
    Trottau hatte noch immer Xenias Kopf unter seinem Rock verborgen. Sie hustete, ihr Körper krümmte sich, und sie erlebte dadurch nicht, wie eine Liebe zerbrach, die aus Himmel und Hölle erbaut worden war.
    »Marjuschka«, sagte Trottau langsam. Der Name ihrer zerrissenen Seligkeit. Die Zarin lehnte sich an die Wand. Sie suchte Halt. Und in diesem Augenblick starb ihre Seele.
    Die lautlose Schlacht, die Marja und Trottau mit ihren Blicken schlugen, entschied Trottau für sich. Die Zarin schlug die Augen nieder. Aber ihre Hände, die so zärtlich streicheln und in denen die ganze Glut der Steppen von Kasan liegen konnte, preßten sich jetzt gegen die kalte Mauer und schlugen dagegen in einem schrecklichen, gleichförmigen Takt. Unentwegt klatschend, eine schaurige Melodie der Vernichtung.
    Tod – Tod – Tod –
    »Blonder Bär«, sagte Marja endlich kaum hörbar. »Mein blonder Bär, warum hast du das getan?«
    Aus dem Vorraum kroch Massja ins Zimmer. »Gnade, Mütterchen, Gnade!« wimmerte sie. »Gnade für meine Xenuschka. Habt ein Herz für die vom Leben Verbannten! Gnade …«
    »Warum bist du hier?« fragte die Zarin und sah nur Trottau an. Ihre Hände klatschten noch immer gegen die Mauer, und ihr ganzer Körper bebte.
    »Ich bin Arzt«, erwiderte Trottau.
    »Mein Arzt, Andrej …«
    Der Hustenkrampf hörte auf. Xenia hob den Kopf. Ihre blauen Augen erkannten die Zarin. Da riß sich Xenia von Trottau los, fiel auf die Knie und beugte den Kopf so tief, daß ihre Stirn den Steinboden berührte. Das alles geschah so schnell, daß Trottau Xenia nicht mehr zurückhalten konnte.
    »Große Zarin«, sagte sie mit ihrer ständig in einen Hauch von Zärtlichkeit eingebetteten Stimme. »Euer Auge beglückt uns.«
    »Sie ist hübsch!« Die Zarin stieß sich von der Wand ab, beugte sich zu Xenia hinunter und riß sie an den blonden Haaren hoch. Trottau sprang auf, aber wie gelähmt hielt er mitten in der Bewegung inne. Unter dem Pelz hatte die Zarin einen Dolch hervorgezogen und die Spitze gegen Xenias Nacken gedrückt.
    »Ein Engel ist sie«, fuhr Marja fort. »Ein wahrer Engel. Wie lange kennst du sie, Andrej?«
    »Fast sechs Monate«, antwortete Trottau. Seine Stimme war kaum noch zu erkennen. Xenia lag vor der Zarin und rührte sich nicht. Ihnen zu Füßen kniete Massja und wimmerte.
    »Du liebst sie?«
    »Ja, erhabene Zarin.«
    Marja ließ Xenias Haar los. Das Mädchen sank in sich zusammen und begann zu beten. Marja stieg über sie hinweg und stand jetzt dicht vor Trottau. Ihr heißer Atem schlug ihm entgegen.
    »Du hast meinen Himmel eingerissen«, flüsterte sie heiser. »Du hast mich vernichtet. Am Tage warst du bei ihr, und in der Nacht bist du zu mir gekommen. War es so?«
    »Ja, Marjuschka.«
    »Ich habe dich geliebt, weißt du das? Du warst der einzige Mann,
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