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Der Leibarzt der Zarin

Der Leibarzt der Zarin

Titel: Der Leibarzt der Zarin
Autoren: Heinz G. Konsalik
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belogen! Skuratow und Jurjew wollen nichts als meine Güter, und Boris Godunow ist ein verkleideter Teufel! Ich habe den Zaren nicht verraten!«
    Marja stieg aus dem Schlitten. »Jammert nicht, Fürst Lumansowski«, sagte sie mit erschreckender Ruhe. »Der Zar braucht ein Beispiel der Rache, und die Wahl ist auf Euch gefallen. Seid stolz darauf.«
    »Gebt mir nur fünf Minuten mit dem Zaren!« schrie Lumansowski. »Warum hört er mich nicht an? Warum glaubt er Skuratow und Godunow mehr als mir?«
    »Man fragt einen Zaren nicht nach dem Warum.« Die Zarin umkreiste den Fürsten, blieb dann dicht vor ihm stehen und zog ihn an den gefesselten Händen heran. »Was würdest du tun, wenn ich dich gegen einen anderen eintausche?« fragte sie.
    »Alles, erhabene Zarin, alles! Ich würde jeden Tag Eure Füße mit meiner Zunge waschen. Ich würde Euch anbeten.«
    »Das ist nichts Neues«, erwiderte die Zarin kalt. Ihre schwarzen Augen bekamen einen so wilden Glanz, daß Lumansowski den Atem anhielt. »Würdest du denjenigen, den ich gegen dich eintausche, töten?«
    »Sofort, erhabene Zarin!«
    Marja winkte den Gardereitern. »Sucht den Arzt!« rief sie. »Holt ihn aus seiner Wohnung und bringt ihn in das Schreibzimmer des Zaren!«
    In der Wohnung des Arztes fand man nur seinen Diener. Er lag auf dem geheizten Ofen, rauchte und rülpste, denn er hatte gut gegessen. Trottau war unten bei den Blattjews. Gleich nach Weihnachten würde die Flucht losgehen, die Troika und die Pferdchen standen bereit. Und dann war Sabotkin ein freier Mensch, denn sein Herr hatte ihm versprochen, die Leibeigenschaft aufzuheben.
    Welch ein Leben, Brüderchen! Sabotkin kam ins Träumen, als die Gardereiter ins Zimmer stürmten.
    »Wo ist der Arzt?« brüllten sie. Bevor Sabotkin antworten konnte, rissen sie ihn zu Boden und traten ihn in den Rücken.
    »Mach das Maul auf, du Wanze!« brüllte einer der Gardisten und hieb auf Sabotkin ein, daß ihm die Knochen krachten.
    So nicht, mein Freundchen, dachte Afanasi. Er schwieg, biß die Zähne aufeinander und dachte an den weisen Priester in seiner Heimat, der ihm einmal vor langer Zeit gesagt hatte, es gäbe keine Schmerzen, wenn man keine Schmerzen haben wolle. Darum lag Sabotkin still und ließ die Gardisten sich müde prügeln.
    Sie schlugen Sabotkin, den Schweigenden, halb tot, ließen ihn dann in seinem Blut liegen und durchsuchten den Palast. Aber den deutschen Arzt, Andreas von Trottau, fanden sie nicht.
    Unterdessen wartete Marja in ihrem leeren, kalten Zimmer, in ihren dicken Zobelmantel gewickelt, mit brennenden Augen und bleich vor Zorn. Aber nicht Trottau stürzte herein, sondern Iwan.
    »Wo ist Lumansowski?« rief er. »Ich habe reinen Tisch mit Gott gemacht – jetzt will ich Lumansowski sterben sehen!«
    »Er wartet nebenan.«
    »Zu den Bären!« Iwan ballte die Fäuste. »Und wo ist Trottau? Ich will den Arzt sehen! Er kennt meine Seele, aber die Bären kennt er noch nicht. Er soll sie sehen, er soll neben mir stehen, wenn Lumansowski zerrissen wird. Trottau soll alles von mir wissen – alles!«
    »Ich habe eine Bitte, Iwan«, sagte die Zarin kalt. Sie beobachtete den Zaren seit Tagen. Der Wahnsinn, sonst nur in Augenblicken aufzuckend wie Blitze an einem heiteren Himmel, ergriff ihn jetzt sichtbar und begann, seinen Geist zu zerstören.
    »Erst zu den Bären!« schrie der Zar. »Mit Lumansowski soll die neue Zeit in Rußland beginnen. Sein Tod soll die Bojaren das Fürchten lehren!«
    »Schenk ihn mir, Iwan.«
    Der Zar blieb stehen. Die kleinen, stechenden Vogelaugen starrten Marja durchdringend an.
    »Ich soll dir Lumansowski schenken?«
    »Ich will ihn eintauschen – gegen Trottau.«
    »Der Arzt?« Iwan überlegte, woher dieser plötzliche Haß kommen mochte. »Wir brauchen ihn noch.«
    »Ich bin gesund, Iwan.«
    »Kein Mensch ist ganz gesund.«
    »Wenn ich seinen Kopf an den Haaren wegtragen kann, werde ich nie mehr krank sein.«
    Der Zar hob die Schultern. Er fror trotz seines dicken Pelzes. »Du machst mich schaudern, Marja«, sagte er heiser. »Er ist dein Arzt – aber er ist mein einziger Vertrauter geworden. Er ist meine Klagemauer. Ich kann gegen sie sprechen, ich kann vor ihr weinen und schreien, beten und flehen … Sie bleibt stumm. Ich brauche Trottau.«
    »Und wann soll er sterben?«
    »Wenn Rußland groß geworden ist. Die Weltgeschichte sieht nur den Erfolg. Den Weg dorthin betrachten nur die Narren. Man lobt die Pyramiden als ein Weltwunder. Wer kümmert sich darum,
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