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Der Leibarzt der Zarin

Der Leibarzt der Zarin

Titel: Der Leibarzt der Zarin
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Schlitten. Für zaristische Maßstäbe war das nicht viel.
    Der Zarewitsch kehrte nach Moskau zurück. Mit gerötetem Gesicht und glänzenden Augen starrte er in die weiße Ferne. Neben ihm, in dicke Biberfelle gehüllt, saß Trottau im kaiserlichen Schlitten. Im nächsten Schlitten war Sabotkin, sein Diener. Er war der einzige, der sich nicht freute. Er hatte mit dem Küchenmädchen Pjetka eine Liebschaft begonnen, einem süßen, schwarzlockigen Vögelchen. Das war nun vorbei, für immer vorbei, denn Sabotkin ahnte, daß sie Alexandrowskaja sloboda nicht wiedersehen würden.
    Moskau, dachte Trottau, als die Schlitten im Wald untertauchten. In zwei Tagen wieder Moskau, wieder Xenia … Ihre unbeschreibliche Zärtlichkeit, ihre Schönheit …
    Xenia, wir werden wieder durch Moskau fahren! Wir werden durch die Wälder jagen, vom Schneestaub der Troika und vom Geläut der Glöckchen umweht. Das Kloster Sagorsk werden wir besuchen, die Kirche der Dreifaltigkeit, die Kirche der Weinenden Mutter Gottes – und ich werde den Metropoliten bitten, uns heimlich zu trauen – auf den Stufen vor der goldenen Ikonenwand, wo sonst nur der Zar und die Zarin knien. Xenia Igorowna, in zwei Tagen sind wir in Moskau!
    Der Himmel schüttete Schnee wie aus Säcken über die Schlittenkolonne. In zehn Tagen war Weihnachten.

17
    Blattjew rannte heiser brüllend durch die modrigen Gänge und stürzte Trottau mit ausgebreiteten Armen entgegen. Sein ungeheuer feines Gehör hatte schon von weitem den Klang von Trottaus Schritten erkannt. Hinter Igor kamen Massja und Xenia. Fast gleichzeitig fielen sie über Trottau her, umarmten ihn, küßten ihn, zerrissen ihn fast mit ihrer Freude. Und dann hob Blattjew mit seinen Bärenkräften Trottau auf die Schulter und trug ihn zu seiner Wohnung.
    Es war merkwürdig: Obgleich hier in dieser riesigen Gruft ständige Dämmerung herrschte, die Feuchtigkeit bis in die Knochen zog, der Gestank der Bären überall hindrang und das hier wohl der schrecklichste und trostloseste Ort auf der ganzen Welt war, hatte Trottau das Gefühl, als sei er heimgekehrt.
    Er war bei Xenia, und es war gleichgültig, was um sie herum war. Ihre Augen, in denen die ganze Seligkeit der Liebe lagen, ihr goldenes Haar, ihre blassen Lippen, die nichts anderes sagen konnten als: »Du bist da … du bist zurück!« – all das war mehr als sämtliche Reichtümer, die man erwerben kann.
    Massja deckte den Tisch. Sie holte eine Flasche mit Gorelka, dem scharfen Schnaps, von dem Blattjew jede Woche zwei Flaschen erhielt, brachte einen dicken Brei aus Hirse und Kumyss { * } und setzte eine Pfanne auf den Ofen, um Eier zu braten.
    Blattjew war davongerannt. Jetzt kam er wieder und hatte ein Ding in der Hand, das aus vier verschieden langen, durchlöcherten Röhren und einem Mundstück bestand.
    »Seine Szurna!« rief Massja und klatschte in die Hände. »Söhnchen, kennst du sie? Bläst man sie bei euch daheim auch?«
    »Bei uns nennt man sie Schalmei«, sagte Trottau. »Die Hirten spielen darauf in den langen Nächten.«
    »Igor ist ein Meister auf der Szurna. O Jesus Christus, wie lange hat er sie nicht mehr geblasen. Als du getauft wurdest, Xenuschka, saß er dort auf der Bank und blies das Lied vom Wilden Reiter. Dann hat er sie fortgetan. Igor, welch ein Feiertag …« Massja begann zu weinen, sank neben dem Herd auf einen Hocker und schlug die Schürze vor das Gesicht.
    Blattjews klobige Finger tasteten über die Tonlöcher, er setzte das Mundstück an. Und dann spielte er, langsam, bedächtig, zurückwandernd in jene fernen Tage, in denen er Massja lieben gelernt und sein Mund noch hatte sagen können: ›Mein Schwänchen, hör mir und meiner Szurna zu. Wir haben dir viel zu sagen.‹
    »Könntest du dir vorstellen«, fragte Trottau, nachdem er und Xenia sich geküßt hatten, als wollten sie ein Jahr von diesen Zärtlichkeiten zehren, »nicht unter der Erde zu leben – und auch nicht in Rußland?«
    Sie erstarrte. »Du … du mußt weg aus Rußland?«
    »Nach dem Weihnachtsfest wird Rußland anders aussehen. Der Zar will das Land den Bojaren entreißen, die Macht der großen Grundbesitzer brechen. Er will das ganze Land in seinen Händen haben. Eine neue Armee stellt er von Alexandrowskaja sloboda aus auf. Keine Soldaten, sondern Tausende von Geheimpolizisten, eine Armee der Spitzel und Henker. Sie sollen Opritschniki heißen – so genannt nach der Opritschnina, dem alten Zarenland, von dem aus Rußland entstanden ist. Schon im
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