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Der Leibarzt der Zarin

Der Leibarzt der Zarin

Titel: Der Leibarzt der Zarin
Autoren: Heinz G. Konsalik
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enthauptet oder gehenkt worden. Der Siegeszug Iwans war zur blutigen Straße geworden. In Kasan hallten die Gassen tagelang wider von den Schreien der Gemarterten.
    Tscherkassky hatte mit seinem Leben abgeschlossen. Er wartete auf Iwans kurzes Wort: »Tötet ihn!« Aber dieses Wort blieb aus. Der Zar blickte Marja an, kurz und kritisch. Seine harten Augen über der mächtigen Hakennase glitzerten.
    »Ich will dich und deine Tochter in Moskau sehen«, sagte Iwan knapp. »Steh auf, Temrjuk, und danke Gott.«
    Marja blieb in Iwans Nähe. In Moskau nahm er sie zur Frau. Sie war ein Weib mit vollen Brüsten, schmalen, biegsamen Hüften und langen, schlanken Beinen. Ihre großen, dunklen Augen waren ein ständiges Feuer, eine immerwährende Lockung, eine nie versiegende Begierde. Meist trug sie einfache tscherkessische Kleider wie die Hirtenmädchen in den endlosen Steppen. Aber immer waren in ihr langes Haar Rosen und Nelken, Glockenblumen oder Mohn geflochten. Die Fingernägel waren rot gefärbt und leuchteten wie die bemalten Lippen. Und um den herrlichen Körper klimperte eine Fülle von Armreifen, Goldketten und orientalische Fußreifen.
    Ihr Vater hatte Marja Unterricht in der Liebe erteilen lassen – nach Art der Haremsfrauen und mit allen Raffinessen orientalischer Verzauberung. Vor diesen Künsten hatte der große, starke Iwan kapituliert. Wenn Marja ihren türkisch-tscherkessischen Tanz vor ihm vollführte, dann in seine Arme flog wie ein wilder Vogel und alle Liebeskünste über ihn ausschüttete wie eine Sturmflut, schwankte Iwan am nächsten Morgen hohläugig und bis ins Mark erschöpft aus dem Zimmer und stierte den Hofmarschall an, der jeden Morgen im Vorzimmer auf seinen Herrn wartete.
    »Sie kann einen umbringen«, sagte Iwan einmal nach einer solchen Nacht. »Aber es ist ein herrlicher Tod.«
    Jetzt war der Zar fern von Moskau. Irgendwo im Norden wütete er, ließ seine Feinde – oder die, die er dafür hielt – hinrichten, blenden, entmannen, immer in aller Öffentlichkeit, wie der Chef einer Theatergruppe, der keine Harlekinaden spielt, sondern seinem Publikum die Schrecken absoluter Herrschaft vorführt.
    Ab und zu brachten Kuriere auf zusammenbrechenden Pferden Botschaft von ihm.
    An mein geliebtes Weib.
    An meine Rose von Kasan.
    An meinen Zauber der Liebe.
    Marja las die Briefe, zerriß sie und empfing ihre heimlichen Liebhaber. Es gab Gänge im alten Kreml, die kaum jemand kannte. Er war ein Fuchsbau, ein Labyrinth – auf der Erde und tief unter der Erde. Und dort gab es Räume, die man betrat, um nie wieder an die Sonne zu kommen: das Reich der ›Toten Seelen‹. Ein Spielzeug für Iwan IV., den man auch den ›Schrecklichen‹ nannte.
    Der junge Arzt war in das Zimmer der Zarin geführt worden und verneigte sich tief. Hinter ihm verließen die Kammerfrauen eilig den Raum. Der Arzt blieb in der gebückten Haltung stehen und wartete auf ein Wort der Zarin.
    Marja musterte den schönen Mann lange. Sie lag auf dem breiten Bett auf einem hellen Bärenfell, über das man noch eine Decke aus flaumweichem, fast schwarzem Zobel gelegt hatte. Sie trug nur ein Gewand aus mehrfach übereinandergelegten orientalischen, mit Goldfäden durchwirkten Schleiern, in die ihre Frauen kunstvoll Blumen gesteckt hatten.
    »Wer seid Ihr?« Die Stimme der Zarin war dunkel wie ein satter Glockenton. Sie klatschte in die Hände, und der Arzt nahm das als Zeichen, sich aufzurichten. Sein Blick traf mit dem Marjas zusammen, und es war, als stießen zwei Speere aufeinander.
    »Ich bin Andreas Daniel von Trottau, erhabene Zarin. Wundarzt und Fachmann der Inneren Medizin, studiert in Dorpat und Paris mit einem Diplom des Königs von Frankreich. Dem erhabenen Zaren hat es gefallen, mich als den Leibarzt der erhabenen Zarin einzustellen, nachdem ich in Litauen den Fürsten Kurbski von einer bösen Krankheit geheilt habe.«
    »Ihr seid Deutscher?« Wieder der Blick, der wie ein geworfener Speer war. Ein Speer mit einer Spitze aus Rosen.
    »Ja, ich bin in Memel geboren. Die erhabene Zarin ist krank?«
    »Ich weiß es nicht.« Marja streckte sich auf der Zobeldecke aus. Mit einer schnellen Bewegung schleuderte sie die goldenen Pantoffeln von sich. Einer flog so weit, daß Trottau ihn auffangen konnte. Langsam kam er damit näher. »Welch ein zierlicher Fuß …«
    Die Zarin lächelte. Die Schleier über ihrer Brust hatten sich verschoben. Weiß wie aus Alabaster, von jenem glänzenden Marmorton, für den die Mädchen aus dem
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