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Der Leibarzt der Zarin

Der Leibarzt der Zarin

Titel: Der Leibarzt der Zarin
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Eifersucht zerfraß ihn wie Säure. »Ich lasse euch die Augen ausstechen, wenn ihr es vergeßt! Schleicht ihnen nach. Ihr werdet dem Zaren alles erzählen, was ihr seht. Gott schütze den Zaren …«

2
    Im Heerlager der russischen Truppen in Litauen, südlich von Dorpat, wartete der Oberbefehlshaber Fürst Kurbski auf die Ankunft des Zaren.
    Seit Jahren standen die russischen Truppen in Kämpfen mit den litauischen Bauern. Es gab keinen Tag, an dem nicht irgendwo russische Soldaten erschlagen oder grausam verstümmelt wurden. Und ebenso grausam schlug Fürst Kurbski zurück, ließ Geiseln hinrichten und ganze Dörfer niederbrennen. Aber er tat das mit Widerwillen. Immer wieder versuchte er, mit den litauischen Rebellenführern zu verhandeln, traf sich mit ihnen an einsamen Plätzen in den Wäldern, um ihnen klarzumachen, daß die Macht Moskaus größer sei als der Freiheitswille eines kleinen Volkes. Vergeblich. Die nächsten Tage waren wieder in Blut getaucht – der Krieg in Litauen ging weiter.
    Für Iwan war das gleichbedeutend mit Verrat. Aber nicht die Litauer klagte er an, sondern Fürst Kurbski. »Er verhandelt!« schrie Iwan. »Die einzige Sprache des Zaren ist das Schwert! Muß ich in meinem Reich alles allein tun? Teilt Kurbski mit – ich komme!«
    »Ich habe Angst«, sagte die Fürstin Kurbskaja zitternd, als ein Kurier des Zaren diese Nachricht brachte. »Andrej Michailowitsch, denke an deinen Sohn, denk an mich! Verlaß Dorpat, ehe der Zar eintrifft.«
    »Ein Kurbski soll flüchten?« Der Fürst, groß, schlank, in einem pelzgefütterten Mantel, ging nachdenklich hin und her. »Ich werde dem Herrscher entgegenreiten und ihn durch Litauen führen. Er soll mit eigenen Augen sehen, über welches Land und welche Menschen er regiert.«
    »Aber vorher wird er dir die Augen ausstechen lassen!« rief die Fürstin. »Der Zar kennt kein Erbarmen. Andrej, um des Kindes willen …« Sie fiel vor ihrem Mann auf die Knie. »Flieh aus Dorpat!«
    Kurbski beugte sich rasch hinunter und zog sie hoch. »Man kniet nur vor Gott und dem Zaren«, sagte er heiser. »Ich finde keine Schuld an mir. Iwan ist mein Freund, wir haben als Kinder zusammen gespielt. Ich war immer sein Vertrauter – er hat keinen besseren Freund als mich. Das weiß er.«
    Eine halbe Stunde später ritt Fürst Kurbski mit seinen Gardesoldaten aus dem Haus. Er blickte noch einmal zurück. Die Fürstin stand am Fenster und vor ihr sein Sohn, ein achtjähriger Junge mit blondem Haar und großen blauen Augen. Fürst Kurbski wandte sich ab.
    Wenn der Zar mich tötet, dachte er, werde ich sie damit retten. Sie werden weiterleben. Er gab seinem Pferd die Sporen und galoppierte in das weite, flache Land.
    Der Platz, wo er auf den Zaren wartete, war gut gewählt: Umgeben von seinem litauischen Heer, das ihn liebte, fühlte Kurbski sich sicher. Wenn auch der Zar mit einigen hundert Scharfschützen kam – ihm gegenüber stand eine Mauer aus Waffen.
    Gegen Mittag jagte ein neuer Kurier auf dampfendem Pferd heran. »Der Zar ist zwölf Werst entfernt, Herr!« schrie er.
    »Was sagt er?« fragte der Fürst Kurbski.
    »Nichts. Er ist schweigsam wie der Tod.«
    »Hast du ihm gesagt, daß ich ihn erwarte?«
    »Ja, Herr. Er hat mich von seinen Strelitzen wegpeitschen lassen.« Der Kurier drehte sich um. Die Uniform war über dem Rücken zerfetzt. Blut war durchgesickert und jetzt zu Klumpen verkrustet.
    Kurbski griff in seine Tasche, holte einen Beutel Rubel hervor und warf sie dem zitternden Kurier zu. »Ein Pflaster«, sagte er dumpf. »Merke dir – es ist eine Ehre, vom Zaren geschlagen zu werden.«
    Nach einer Stunde sahen sie den langen Zug der Reiter und Fahnen auf sich zukommen. Fanfaren gellten durch die noch kalte Luft des Vorfrühlingstages. Der Bojar Ludenski ritt an Kurbskis Seite. »Was willst du tun?« fragte er. Seine Stimme war heiser vor Erregung.
    »Ich reite ihm das letzte Stück allein entgegen.«
    »Allein? Bist du verrückt, Andrej Michailowitsch? Er wird dich aufspießen!«
    »Wenn ihr das seht, laßt zum Angriff blasen.«
    »Gegen den Zaren?«
    »Gegen einen Mörder! Ich sterbe unschuldig, ihr alle wißt es.« Der Fürst gab Ludenski die Hand, wartete keine weiteren Worte ab und ritt dem Zaren entgegen.
    Iwan saß stolz und finster auf seinem Pferd. Sein Aufzug war der Ausdruck der Macht und Gnadenlosigkeit. Er trug ein schwarzes Kettenhemd, das auf der Brust durch kleine Stahlplatten verstärkt war. Ein Wunderwerk war der Helm: geschwärztes,
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