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Die Chorknaben

Die Chorknaben

Titel: Die Chorknaben
Autoren: Joseph Wambaugh
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    Prolog
    1 967 bluteten und starben die Third Marines für drei namenlose Hügel im Norden von Khe Sann. Die Divisionen der nordvietnamesischen Armee waren um die DMZ stationiert, und die Marines waren in den von Höhlen durchsetzten Hügeln auf verschiedene NVA-Kommandoposten und primitive Feldlazarette gestoßen. Die Höhlen zogen sich bis zur laotischen Grenze hin, und es wurden Patrouillen ausgesandt, um Granaten in die Luftschächte zu werfen und den Vietkong aus den Bodenlöchern, den sogenannten spider traps, zu vertreiben. Eines Nachts – die wichtigsten Kämpfe waren bereits entschieden – geriet ein Trupp Marines in einen Hinterhalt und wurde aufgerieben. Die Sonne war vor zwei Stunden untergegangen, und zwei Marines kauerten sich in einer Höhle, die ehemals als NVA-Lazarett gedient hatte, eng aneinander. Bis auf ein paar kaputte Bambusbetten und etwas Gerümpel war sie völlig leer. Es war naßkalt und modrig, und die beiden Marines überlegten verzweifelt, wie sie am besten zu ihrer Kompanie zurückgelangen sollten. Sie waren völlig verwirrt und konnten nicht begreifen, was da plötzlich geschehen war.
    Der größere von beiden, Anführer einer MG-Einheit, wünschte verzweifelt, sein Schütze hätte überlebt. Sein Begleiter, ein kleiner, schmächtiger Schütze, war erst neu zu seiner Einheit gekommen und konnte mit der M-14 noch nicht so recht umgehen. Wie ein Hund kauerte er auf dem harten Boden der Höhle und wartete auf einen Befehl.
    Dann hörten sie die Stimmen in der Dunkelheit. Viele Stimmen. Die zwei Marines krochen tiefer in das Innere der Höhle und preßten sich gegen die Wände, während das Vietkong-Killerkommando nach Überlebenden suchte.
    Beide Marines spürten, wie ihre Uniform an ihrer Haut klebte; sie wischten sich den Schweiß aus den Augen und bissen die Zähne zusammen, damit sie nicht zu klappern begannen. Der kleine Marine wimmerte leise. Dann sagte einer der Vietkong etwas zu einem Kameraden und trat vorsichtig, den Schein seiner Taschenlampe in das naßkalte Dunkel vor sich gerichtet, in das Innere der Höhle.
    Die Marines vergruben ihre Gesichter in der schlammigen Erde, als sie plötzlich ein nervöses Lachen hörten und noch ein Soldat in die Höhle trat. Das Licht ging aus. Der große Marine wagte endlich wieder, aufzusehen, und konnte ganz deutlich die Silhouette des Soldaten in der Öffnung der Höhle erkennen. Er trug ein Bündel chinesischer Handgranaten und einen Flammenwerfer. Er schlurfte auf sie zu.
    Der Soldat stolperte, murmelte etwas und blieb stehen, um einen Gang zu seiner Rechten hinunterzusehen. Dabei fummelte er an seinem Flammenwerfer herum, während die beiden Marines praktisch vor ihm lagen. Sie konnten seinen Schweiß riechen, vermengt mit dem Geruch nach Fischsauce und rohem Knoblauch. Dann wandte sich der Soldat wieder um und ging zum Höhleneingang zurück, wo die Stimmen lauter wurden. Mehrere Soldaten lehnten ihre Waffen gegen die Felsen und setzten sich.
    Und während der kleine Marine spürte, wie seine Panik wuchs, und er bereits glaubte, das verzweifelte Schluchzen, das ihm in der Kehle hochstieg, nicht mehr länger unterdrücken zu können, hatte der große Marine plötzlich das Gefühl, zu ersticken. Keuchend riß er sich den Kragen seiner Uniformjacke auf. Nur die Stimmen der Soldaten am Höhleneingang retteten sie.
    Es war der größere, kräftigere von beiden, der zu weinen begann. Die Wände der Höhle und die Dunkelheit schlossen sich um ihn, und er bekam nicht mehr genügend Luft. Erst weinte er kaum merklich, aber schließlich brach es in krampfhaften Zuckungen aus ihm heraus; und sein kleiner Begleiter – mochten da nun die Stimmen sein oder nicht – war sich sicher, daß die Vietkong sie auf jeden Fall hören mußten. Mit dem Instinkt der Verzweiflung nahm er im Dunkel der Höhle den großen Marine in seine Arme, tätschelte ihm die Schultern und flüsterte: »Ist ja gut, schon gut. Schön still sein. Ich bin doch da. Du bist nicht allein.« Allmählich beruhigte der große Marine sich wieder und begann regelmäßiger zu atmen; und als die Patrouille fünf Minuten später weiterzog, hatte er sich wieder völlig unter Kontrolle. Er führte den kleinen Marine zurück zu ihrer verstreuten Kompanie. Sie waren beide neunzehn Jahre alt. Es waren Kinder.

 

    1
    Territorialer Imperativ
    D as Hauptverdienst daran, daß über den MacArthur-Park-Mord nichts vorzeitig in der Presse berichtet wurde, was das Los Angeles Police
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