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Der Leibarzt der Zarin

Der Leibarzt der Zarin

Titel: Der Leibarzt der Zarin
Autoren: Heinz G. Konsalik
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ist, mir nicht zu gehorchen. Nenn mich Marjuschka. Schnell, sag es …«
    »Marjuschka …«
    »Wie schön es aus deinem Mund klingt! O Andrej, die Welt ist anders geworden in dieser Nacht …«
    »Und wie soll es weitergehen, Marjuschka?«
    »Du bist der Arzt, ich bin eine Kranke. Du mußt mich heilen – immer, wenn ich nach dir rufe. Iwan wird dich mit Gold überschütten, weil du mir hilfst, und ich werde dich mit Liebe überschütten, als würdest du in Sonne baden.«
    Erst in der Morgendämmerung verließ Trottau das Zimmer der Zarin. Vor der dritten Tür saßen schlafend die beiden Kammerfrauen. Vor der fünften Tür standen zwei neue stumme, bärtige Riesen und schielten ihn aus den Augenwinkeln an.
    »Ich bin der Leibarzt der erhabenen Zarin«, sagte Trottau laut. »Wo ist der Hofmarschall?«
    Die Riesen antworteten nicht. Aber aus einer Ecke löste sich ein Strelitz, ein Soldat mit einer riesigen Muskete, stand stramm und ging dann Trottau voraus. Sie durchquerten einige Hallen und Räume, in denen eine Menge Leute warteten, meistens Beamte, Offiziere und Boten aus den verschiedensten Gegenden Rußlands. Ein Diener in roten Pumphosen und reichbestickter Jacke übernahm den Arzt und führte ihn in einen Raum, in dem ein alter Mann mit tiefliegenden Augen und einer runden Zobelmütze saß. Überrascht betrachtete der Alte den großen blonden Mann in seiner fremdartigen schwarzen Kleidung. »Kommst du aus dem Land der Raben?« fragte er.
    Trottau lächelte und holte aus der Tasche ein Schreiben des Zaren. Der alte Mann las es.
    »Der neue Leibarzt. Der Herrscher ist im Norden. Du wirst ihm morgen nachreisen, er wartet auf dich.« Der alte Mann betrachtete Trottau, wie man ein unbekanntes Pferd beäugt. »Ein Deutscher! Der Zar liebt die Deutschen nicht. Warum holt er dich in den Kreml?«
    »Ich habe Fürst Kurbski geheilt. Und heute nacht die erhabene Zarin …«
    »Du warst schon bei der Zarin?« Über das Gesicht des Hofmarschalls lief ein Zucken. »Ist sie krank? Gott stehe uns bei! Ein einziger Schmerzensschrei der Zarin kann den ganzen Palast zu einem Haus des Todes machen. Der Zar liebt sie wie die Sonne und den Schnee, die Blumen und die Wälder.«
    »Sie wird nicht schreien«, sagte Trottau. »Ich habe die Behandlung übernommen … Sie ist erfolgreich.«
    »Was fehlt ihr, Arzt?«
    »Luft. Bewegung. Freiheit. Setzt einen Adler in den größten Käfig – er wird verkümmern. Ich habe verordnet, daß die Zarin jeden Tag spazierenfährt. In die Wälder von Butyrki, nach Sagorsk und nach Noginsk …«
    »In die Sümpfe? Bist du irrsinnig?«
    »Sie wird dort Enten jagen, Schwäne schießen und …«
    »… und das Fieber bekommen! Ich verbiete es, Arzt.«
    »Dann schicke einen Kurier nach Litauen zum Zaren. Schreibt ihm. Ich füge einen Brief bei: Ein alter Mann mit einer Fellmütze verhindert, daß die Zarin gesund wird. Ich bin der Arzt.«
    Der alte Mann starrte Trottau böse an. »Ihr Deutschen! Sobald ihr einen Fuß nach Rußland setzt, zerbricht unter euren Stiefeln die heilige russische Erde. Mach, was du willst, Arzt – es kostet deinen Kopf. Und es kostet ihn, so wahr man Paulus an den Beinen aufhing!«
    »Dann kann mir nichts geschehen.« Trottau verbeugte sich leicht. »Paulus wurde nämlich enthauptet!«
    Er verließ das Zimmer des Hofmarschalls, ohne eine Antwort abzuwarten. Sie zittern alle um ihr Leben, dachte er. Iwan … wer diesen Namen ausspricht, betet oder flucht; bettelt oder weint. Wer ihn lobt, ist ein Heuchler. Mein Gott, in welch eine Welt bin ich geraten!
    Er blieb stehen, irgendwo in einem Gang, und blickte aus dem Fenster. Unter ihm lag einer der Höfe des Kremls. Eine Abteilung der Strelitzen exerzierte. Vor einer Mauer war eine Holzwand aufgebaut mit einer Reihe eiserner Ringe. Die Bretter waren fleckig. Dunkle, rote Flecke.
    Die Auspeitschungswand.
    Trottau fuhr herum. Hinter ihm war ein diskretes Räuspern erklungen. Ein Lakei verbeugte sich tief.
    »Gospodin, ich soll Euch zu Euren Zimmern führen.«
    Trottau nickte. Er war müde. Er sehnte sich nach Wasser, nach einem Bad, einem dampfenden heißen Bad. Bis tief in seine Poren war Marjas Rosenduft in ihn eingedrungen.
    So begann Andreas Daniel von Trottaus erster Tag im Kreml.
    Am Nachmittag ließ ihn der Zarewitsch rufen, der Sohn von Iwans erster Gemahlin Anastasia. Sie war durch einen Gifttrunk ums Leben gekommen.
    Der Zarewitsch war ein schöner, sanftmütiger, trauriger Mann und gab Trottau wie einem Freund die Hand.
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