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Der Leibarzt der Zarin

Der Leibarzt der Zarin

Titel: Der Leibarzt der Zarin
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Zorn.
    Niemand beachtete die kleine Gruppe, als sie Moskau erreichte. Ein Schlitten unter Schlitten, Pferde unter Pferden …
    Iwan freute sich, seine stechenden Raubvogelaugen glühten. Ein Zar kehrt anders heim, dachte er. Aber so, unerkannt von allen, sieht er die Wahrheit.
    Nur eines sah Iwan nicht: die haßfunkelnden Augen der Zarin. Marja war wie ein Vulkan der Rache.

18
    Die Schlittenkolonne des Zaren hielt an einem Hintereingang des Kremls. Die vier Strelitzen, die hier Wache standen und sich seit Tagen langweilten, rannten vor das Tor und senkten die Piken. Dann erkannten sie den Zaren. Ihre Gesichter begannen zu leuchten, sie warfen die Piken weg und sanken im Schnee auf die Knie.
    »Du bist zurückgekommen, Väterchen!« schrien sie. »Gelobt sei Jesus Christus! Du hast uns nicht vergessen …«
    »Führt sie weg«, sagte Iwan gleichgültig. Er winkte seinen Reitern. »Sie haben mich nie gesehen. Ich bin nie in Moskau gewesen.«
    Wortlos rissen die Reiter die knienden Strelitzen hoch, banden ihnen die Hände auf den Rücken und nahmen sie mit. Man sah sie nie wieder. Wer vermißt in Rußland schon vier Menschen?
    Die Schlitten fuhren in den Hinterhof und hielten an der Kirchentreppe des Palastes. Es war die Treppe, die Iwan immer hinunterging, um auf schnellstem Weg zur Kirche zu gelangen.
    Der Zar stieg aus dem Schlitten und blickte hinüber zur Kirche. Die vergoldeten Zwiebeltürme leuchteten im kalten Schneelicht. Der Platz vor dem Eingang war leer, keine Spuren im Schnee. Die Einsamkeit, die in den Kreml eingekehrt war, schien bedrückend.
    »Ich möchte beten«, sagte Iwan plötzlich.
    »Jetzt?« fragte Marja mit dunkler Stimme.
    »Gerade jetzt.« Der Zar lehnte sich an den Schlitten. »Oh, wie ich Moskau liebe, wie ich es vermißt habe! Mein Herz zerriß, als ich durch die Straßen fuhr. Und alles der Bojaren wegen! Meine Jugend haben sie mir gestohlen, meine Frau vergiftet, meinen Thron zu einer Blutbank werden lassen. Rußland haben sie ausgesaugt wie Vampire, das Volk geknechtet. Aber ich will sie alle zerschlagen. Ich will sie vernichten mit Frau und Kindern. Und das Volk soll dabeistehen und zusehen, wie ich Rußland von ihnen befreie.« Der Zar legte beide Hände über seine Augen. »Ich muß Gott bitten, mir das Meer von Blut zu verzeihen, das ich über das Land bringe. Er soll mir nicht die Seelen anlasten, die ich vernichte. Ein Zar muß hart sein, sonst frißt ihn dieses herrliche, wilde Land.«
    »Geh in deine Kirche«, sagte die Zarin. »Und bete für eine Seele mit, die ich vernichten werde.«
    Dämmerlicht lag in dem weiten, prunkvollen, leeren Raum. Das Ewige Licht brannte vor der Ikone der Madonna.
    »Gott«, sagte Iwan mit zitternder Stimme. »Gott, verlaß mich nicht. Vergib mir alle Schuld. Ich bin von Feinden umgeben und schütze mich nur. Schütze du deinen niederen Jünger … Ich habe Angst, mein Gott. Ich habe Angst vor den Menschen und vor meinem herrlichen russischen Reich …«
    Er sank auf die Knie und rutschte den langen Mittelgang des Kirchenschiffs entlang bis zur goldenen Ikonostase. Als er die Stufen vor dem Altar erreicht hatte und hochblickte, stand groß und breit, im perlenbestickten Ornat, Philipp vor ihm, der Metropolit von Moskau.
    »Ich will beichten, Väterchen«, stammelte Iwan.
    »Gottes Ohr ist überall.«
    »Ich werde Tausende töten, Väterchen. Ein Heer von Toten wird mir folgen.«
    »Gott wird es aufschreiben, mein Sohn.«
    »Ich werde die Bojaren vernichten.«
    »Wir werden die Glocken läuten und für ihre Seelen beten.«
    »Ich werde vielleicht auch den Arzt der Zarin töten. Er weiß zuviel von meinem Herzen.«
    Der Metropolit hob beide Hände. Sein Gesicht war unbeweglich wie der Stein, aus dem man die Heiligen an den Säulen gemeißelt hatte.
    »Es wird vor Gott eine lange Rechnung werden, mein Sohn.«
    Der Zar nickte. »Und man wird auch dich töten, Väterchen Philipp, Metropolit von Moskau. Du bist ein Freund des Fürsten Kurbski.«
    »Ich segne dich, mein Sohn.«
    Der Zar fiel auf das Gesicht. Lang hingestreckt lag er vor der Ikonostase, und es wäre leicht gewesen, ihm von oben durch den Rücken in das Herz zu stechen. Aber nichts geschah. Ein Zar ist noch nie in einer Kirche ermordet worden …
    Draußen wurde indessen der zweite Schlitten ausgeladen. Ein gefesselter Mann wurde aus den Decken und dem wärmenden Stroh gehoben. Sein Gesicht war von Peitschenhieben entstellt.
    »Hört mich an!« schrie er. »Man hat den erhabenen Zaren
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