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Der Leibarzt der Zarin

Der Leibarzt der Zarin

Titel: Der Leibarzt der Zarin
Autoren: Heinz G. Konsalik
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dem nicht nur mein Körper, sondern auch mein Herz gehörte. Das alles ist zerstört. Du hast eine tote Seele aus mir gemacht.«
    Ihr Kopf sank nach vorn auf Trottaus Schulter. »Am Tage bei ihr, in der Nacht bei mir … Ich habe dich teilen müssen mit einer kleinen blonden Hure … O Bär, mein blonder Bär, welche Frau kann das ertragen! Erwartest du von mir, daß ich dir das verzeihe? Soll ich heiliger sein als eine Heilige? Blonder Bär, was soll ich tun?«
    »Gib mir die Gelegenheit, Rußland zu verlassen.« Trottau legte den Arm um die Schulter der Zarin. Aber mit einem Ruck befreite sie sich. In ihren schwarzen Augen lag die Glut eines alles vernichtenden Feuers.
    »Du willst weg von mir?«
    »Ich weiß, daß eine Laune des Zaren genügt, um mich zu töten.«
    »Ich liebe dich, Andrej …«
    »Es ist eine tödliche Liebe, Marja. Der Zar …«
    »Ich werde den Zaren erwürgen. Und dann werden wir Rußland regieren.«
    »Du vergißt die Bojaren. Basmanow, Godunow, die Romanows …«
    »Mit ihren Köpfen werde ich die Zinnen des Kremls schmücken.«
    »Ich liebe Xenia! Ich will sie heiraten.«
    »Am Tage bei ihr, in der Nacht bei mir …« Die Zarin umklammerte mit beiden Händen Trottaus Kopf und zog ihn nahe an sich heran. »Du sollst auch in der Nacht bei ihr sein, Andrej«, sagte sie kaum hörbar. »Immer und ewig in der Nacht, denn unsere Nächte waren die schönsten auf dieser Erde. Ich werde dir die Augen ausstechen lassen, mein blonder Bär. Dann hast du sie immer, deine Xenia. Und vor mir wirst du mit leeren Augenhöhlen sitzen. Und ich werde dich ansehen und zu dir sagen: ›Andrej, komm her. Ich bin krank. Taste meinen Körper ab. Fühlst du meinen Leib? Faß zu, blonder Bär, faß zu. Du bist der Arzt, du darfst den Körper der Zarin berühren.‹ Und die Zarin liegt still, ganz still … Wie zärtlich deine Hände sind, wie gut sie tun … Erinnerst du dich noch, wie dieser Körper aussieht, blonder Bär? Und du wirst vor mir sitzen, in die ewige Nacht starren und mit deinen Händen die verlorene Sonne suchen. Dann wirst du alles haben, was du wolltest. Die selige Nacht mit Xenia und die Liebe der Zarin in deinen Händen. Nur sehen wirst du das alles nicht mehr können …«
    Vom Gang her ertönte Iwans Stimme. Er war stehengeblieben und wunderte sich, daß Marja nicht nachgekommen war.
    »Marja!« rief er. »Beeile dich! Ich will noch einmal in die Kirche und beten.«
    »Es gibt nur zwei Ausgänge aus diesem Grab«, sagte die Zarin und ließ Trottaus Kopf los. Er trat zwei Schritte zurück und holte tief Atem. »Die Treppe zum Schreibzimmer des Zaren und der Ausstieg unter dem Busch im Garten. Vor jeden Ausgang werde ich vier Strelitzen stellen. Du kannst nicht mehr hinaus. Morgen, bevor der Zar zurück nach Alexandrowskaja sloboda fährt, hole ich mir deine Augen. Mein blonder Bär, du bleibst bei mir, bis ans Ende deiner Tage … Die blinde Hülle überlasse ich gern dieser armen, schwindsüchtigen Hure.« Sie hob blitzschnell die Hand und schlug Trottau mitten ins Gesicht. Dann zog sie ihn wieder zu sich heran und küßte ihn mit einer Wildheit, die ihn wehrlos machte.
    »Warum hast du meinen Himmel niedergerissen?« stammelte sie.
    »Und der Zar?« fragte Trottau tonlos. »Wie wird man dem Zaren erklären, daß sein Arzt und Freund geblendet wurde?«
    »Die Bojaren.« Marja lächelte böse. »Es waren die Bojaren, wird man sagen. Um Iwan ins Herz zu treffen, haben sie seinen Freund geblendet. Skuratow, Boris Godunow … sie alle werden jammern und schwören. Aber der Zar wird ihnen nicht glauben. Ich werde sie anklagen, und er wird sie vernichten. Es ist ein dreifacher Erfolg, mein Liebling: Der Zar ist zufrieden, ich behalte dich – und die Macht der Bojaren ist gebrochen. Der Zar regiert – aber ich werde ihn leiten.«
    »Du bist ein Satan!« murmelte Trottau. »Ich werde dem Zaren die Wahrheit sagen.«
    »Sei kein Narr, Andrej«, erwiderte die Zarin beinahe traurig. »Laß mir etwas von dir übrig. Auch Zungen kann man herausreißen – aber ich möchte, wenn du schon nicht mehr sehen kannst, deine Stimme hören. Ich möchte dein ›Marjuschka‹ hören. Niemand spricht es so zärtlich aus wie du.«
    Sie drehte sich um und ging schnell hinaus.
    »Du hast eine gute Frau, Blattjew«, sagte die Zarin draußen laut. »Und eine hübsche Tochter. Sie werden mir ans Herz wachsen, ich werde mich um sie kümmern. Iwan, es war heute ein schöner Tag …«

20
    Vor der Falltür im Schreibzimmer des
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