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Der Leibarzt der Zarin

Der Leibarzt der Zarin

Titel: Der Leibarzt der Zarin
Autoren: Heinz G. Konsalik
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auf die Knie.
    Auch Xenia und Trottau knieten nieder, und Blattjew segnete sein Kind, das er nie wiedersehen würde, und betete für seinen neuen Sohn, der ihn für immer verließ. Er legte die Ikone auf ihre Häupter, drückte sie an ihre Lippen und schenkte Xenia dann die rissige, bemalte, abgeschabte Holzfigur – das Heiligste, was Blattjew verschenken konnte.
    Dann sprang er auf, stöhnte dumpf, als Massja sich mit dem Gesicht gegen die Wand drückte, weil sie nicht zusehen wollte, wie sie ihr Kind verlor. Blattjew riß eine Fackel aus den Eisenringen und schwenkte sie über seinem struppigen Kopf.
    »Mütterchen«, schluchzte Xenia, »Mütterchen, warum gehst du nicht mit?«
    »Mach, daß du wegkommst!« schrie Massja. »Kein Wort mehr! Andrej, Söhnchen, nimm sie an der Hand und lauf los! Lauf schon! Wollt ihr mich umbringen? Wollt ihr mir das Herz brechen? Igor, treib sie mit dem Knüppel vor dir her! Sie sollen nichts mehr zu mir sagen …«
    Auch Blattjew bebte vor Schluchzen, aber er packte Trottau an der Schulter und stieß ihn aus der Wohnung. Xenia folgte ihm.
    »Mach sie glücklich, Söhnchen!« schrie Massja mit letzter Kraft. »Mach sie gesund! Verlaß sie nie …«
    »Ich schwöre es dir bei meiner Mutter, Massja«, sagte Trottau. Es war ein entsetzlicher Abschied, weil er endgültig war. Und es mußte schnell gehen – die Zarin ließ ihnen keine Zeit mehr.
    Trottau und Xenia rannten Blattjew nach, durch unbekannte Gänge und über nie begangene Treppen, bis sie an der Eisentür zum Kamin standen. Blattjew stieß sie auf – der Weg ins Leben war frei.
    Mit zwei rohen Stößen trieb Blattjew Trottau und Xenia durch die Tür und warf sie hinter ihnen zu. Er konnte nicht anders, und Xenia und Trottau verstanden ihn. Für Blattjew war damit sein Leben abgeschlossen. Er hatte in der Unterwelt und mit seinen Bären nur für Xenia gelebt. Er hatte die Feinde des Zaren getötet und die Mitwisser erwürgt, er hatte alles getan, nur um für Xenia zu leben, sein Kind, für dieses Wunder unter der Erde, das er nie ganz begriffen, aber wie ein unverdientes Geschenk hingenommen hatte.
    »In einer halben Stunde haben wir Moskau hinter uns«, sagte Trottau atemlos. »Wir müssen nur noch Sabotkin holen.«
    Sie fanden Sabotkin noch immer auf dem Boden, von einer großen Blutlache umgeben. Aber er lebte. Und er hob den Kopf, als er seinen Herrn sah. Ein müdes Lächeln verzerrte seine aufgeplatzten Lippen, er streckte sich aus, als könne er jetzt ruhig sterben.
    »Ich habe nichts verraten«, keuchte er mühsam. »Herrchen, reitet fort. Die Zarin ist gekommen.«
    »Ich weiß es, Afanasi.« Trottau kniete neben dem Verletzten nieder. Er untersuchte ihn rasch und stellte fest, daß die Wunden nicht so schwer waren, wie sie aussahen. Nur der Blutverlust war groß und machte Sabotkin unfähig, aufzustehen.
    »Beiß die Zähne zusammen, alter Idiot!« sagte Trottau. »In acht Tagen bist du ein freier Mensch.« Er faßte ihn unter die Schultern und richtete ihn auf.
    »Reitet, Herrchen, reitet!« Sabotkins Kopf fiel auf die Brust. Die Schwäche in ihm war zu groß. »Ihr seid ein guter Mensch. Gott wird Euch immer segnen.«
    »Steh auf!« schrie Trottau.
    »Ihr müßt reiten, Herrchen«, stöhnte Sabotkin. »Ich bin nur eine Eisenkugel an Euren Beinen …«
    »Aufstehen sollst du!« Trottau zögerte einen Augenblick. Dann schlug er zu, schlug in dieses gemarterte, blutige, geschwollene Gesicht hinein. Und das war etwas, was der Leibeigene Sabotkin verstand, was seine letzte Kraft weckte, ihn auf die schwankenden Beine brachte: Mein Herrchen prügelt mich, ich muß gehorchen. Er hat befohlen, steh auf, also mußt du aufstehen, ganz gleich, wie du es schaffst.
    Und er schaffte es. Er tappte ein paar Schritte, stützte sich dann auf Trottau und schwankte aus dem Zimmer.
    Sie erreichten eines der kleinen Tore in der Kremlmauer, an der nur ein Strelitz stand und Wache hielt. Er kannte den Arzt der Zarin, schloß die Pforte auf und dachte, daß Trottau zwei Kranke in irgendein Siechenhaus brachte.
    Nach zehn Minuten waren sie im Stall, in dem der Schlitten und die Pferde warteten. Der Fuhrmann spannte sie ein, Trottau legte Sabotkin in das Stroh und versteckte Xenia daneben, breitete zwei dicke Hundefelle über sie und sprang dann auf den hölzernen, schmalen Sitz.
    Der Himmel hatte sich wieder bezogen. Es schneite dicke Flocken, die wie zerrupfte Watte aussahen.
    »Gute Fahrt, Euer Gnaden!« rief der Fuhrmann. Er verbeugte
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