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Sieben Siegel 05 - Schattenengel

Sieben Siegel 05 - Schattenengel

Titel: Sieben Siegel 05 - Schattenengel
Autoren: Kai Meyer
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Israel
    »Staub!« Kyra schnaubte verächtlich. »Ich hasse Staub!«
    »Seit wann bist du so empfindlich?« Ihr Vater leuchtete ihr mit der Taschenlampe ins Gesicht. »Ich hab dich zu Hause noch nie mit einem Staubtuch gesehen.«
    »Eben«, entgegnete Kyra trotzig. »Außerdem – könnte das wohl daran liegen, dass du mich überhaupt noch nie zu Hause gesehen hast? Ich meine, wann warst du das letzte Mal in meinem Zimmer? Vor acht Jahren? Vor neun?«
    Lisa knuffte Kyra mit dem Ellbogen in die Seite. Es reichte. Es war schlimm genug, dass sie gebückt durch die unterirdischen Stollen dieses Tempels klettern mussten. Ein Streit zwischen Kyra und ihrem Vater, Professor Rabenson, machte die Situation nicht gerade angenehmer.
    Auch wenn, zugegeben, bei ihnen allen die Nerven blank lagen.
    Die beiden Jungen redeten schon seit einer halben Stunde nicht mehr miteinander. Chris war Nils versehentlich in die Fersen getreten, und Nils war daraufhin gestolpert und mit dem Kopf gegen irgendein vorchristliches Relief gekracht. Jetzt hatte er eine Beule auf der Stirn, so groß wie eine reife Pflaume. Und ungefähr von der gleichen Farbe.
    Dabei hatte ihr Ausflug ins Innere des Tell ed-Duwer recht viel versprechend begonnen. Der Berg im Süden Israels beherbergte die Ruinen der uralten Grenzfestung Lachis. Im Jahr 587 vor Christus war sie von den Horden des babylonischen Herrschers Nebukadnezar zerstört worden, als dieser das Land unter seine Macht zwang. Seither lagen ihre Trümmer unter dem Tell ed-Duwer begraben – so wie dieser Tempel.
    »Was war das für ein Gott, den die Menschen hier verehrt haben?«, fragte Lisa, um die anderen von ihren übellaunigen Gedanken abzulenken.
    »Man weiß es nicht genau«, erwiderte Professor Rabenson. »Es gab damals eine ganze Menge geflügelter Gottheiten. Aber so wie es aussieht, war dieser Tempel keinem der bekannten Götter geweiht. Die Details sind … verwirrend.«
    Chris und Nils atmeten gleichzeitig auf, als sich herausstellte, dass der Professor darauf verzichtete, wissenschaftliche Einzelheiten aufzuzählen. Beide bemerkten die Erleichterung des anderen und warfen sich ein schiefes Lächeln zu. Lisa sah es und war zufrieden. Möglich, dass die beiden darüber endlich ihren dummen Streit begruben.
    Es war schon merkwürdig. Normalerweise waren die Reisen der vier Freunde an der Seite des Professors stets tolle Abenteuerurlaube. Dunkle Höhlengänge, unterirdische Katakomben und verfallene Ruinen konnten längst keinen von ihnen mehr schrecken, spätestens seit sie Träger der Sieben Siegel waren. Seither hatten sie Schlimmeres gesehen als nur ein paar unheimliche Trümmer.
    Und doch hatte es mit den Ruinen des alten Lachis etwas ganz Besonderes auf sich. Es waren nicht nur die Enge der tiefen Schächte, die trockene, heiße Luft und die wogenden Staubwolken, die ihnen den Spaß an dieser Expedition nahmen. Nein, es schien fast, als läge eine ganz besondere Stimmung über diesem Ort, eine bedrückende Atmosphäre, die ihrer aller Laune auf den Tiefpunkt brachte. Sogar Professor Rabenson schien darunter zu leiden – und es gehörte schon einiges dazu, einem Wissenschaftler von seinem Format eine solche Entdeckungsreise madig zu machen. Selbst er war während der letzten zwei Stunden – seit ihrem Aufbruch von der Oberfläche – mürrisch, schließlich sogar streitlustig geworden.
    Jeder von ihnen war mit einer Taschenlampe ausgerüstet und trug einen Helm aus rotem Plastik. Zwar hatte der Professor ihnen versichert, dass keinerlei Einsturzgefahr bestünde, doch beharrte er darauf, auf Nummer sicher zu gehen. Dass Nils es geschafft hatte, sich den Kopf genau unterhalb der Helmkante zu stoßen, war Pech – und dass es gerade ihn getroffen hatte, war für ihn doppelt ärgerlich. Aus unerfindlichen Gründen war es meistens Nils, den es erwischte. Lisa konnte seine Wut ganz gut nachvollziehen; es war schließlich nicht besonders mitfühlend von Chris gewesen, dass er statt einer Entschuldigung gesagt hatte: »Das muss wohl an deinem Gesicht liegen.«
    In Wahrheit war jedoch allein Lachis der Grund für ihre miese Stimmung, davon war Lisa mittlerweile überzeugt. Ihr schien es, als läge ein Fluch über der unterirdischen Ruinenstadt. Kein Hexenspuk, keine tödlichen Fallen wie in den ägyptischen Pyramiden – der Fluch von Lachis war offenbar der Fluch der Schlechten Laune. Und der war schlimm genug, wenn man es stundenlang auf engstem Raum miteinander aushalten musste.
    Keine
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