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Der Kommissar und das Schweigen - Roman

Der Kommissar und das Schweigen - Roman

Titel: Der Kommissar und das Schweigen - Roman
Autoren: H kan Nesser
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war es eigentlich gleich. Jedenfalls für denjenigen, der betroffen war – und vielleicht sollte man genau mit diesen Begriffen das Problem auch beschreiben. Sein eigenes und das aller anderen.
    Als Trennung zwischen dem Handlungsmotiv und seinen Konsequenzen. War es nur das, auf dem das Böse aufbaute?
    Wohl kaum. Ihm war klar, dass das nur eine Sichtweise war. Eine unter hundert möglichen. Während er die Treppe hinunter zum See ging, dachte er außerdem darüber nach, ob Das Reine Leben wohl jemals wieder auferstehen würde, aber ihm war klar, dass auch das nicht den Kern der Sache ausmachte.
    Sollten diese Menschen, alle diese in die Irre geführten Mitglieder, überhaupt wieder aufstehen können, das war die Frage? Wiederauferstehen als – Menschen.
    Dann kam ihm ein ganz anderer Begriff in den Sinn.
    Gottes Finger.
    Gottes Fingher?
    Zeit, mit der Grübelei aufzuhören. Zeit, diesem Theoretisieren ein Ende zu machen, das nur dazu diente, die Gedanken an diese Mädchenkörper zu verdrängen. Ich werde sie ja doch nie ganz los.
    Und als er das Grimm’s betrat, fiel ihm ein, dass er genau an diesem Abend, in dieser Nacht, im Christos ins Bett hatte gehen sollen. Hundert Meter entfernt vom venezianischen Hafen von Rethymnon.
    So oder so.
    Was soll’s, dachte er. Ich rufe sie an, wenn sie wieder zu Hause ist. Zeit und Raum sind Begriffe für Kretins.
    Genau, für Kretins.

VII
10. August

41
    Als er erwachte, hing der Traum ihm noch nach.
    Das Bild mit den blassen Mädchen im Hintergrund; ganz nahe am Ufer. Magere Körper in Dreier- und Vierergruppen. Die Stille – und ein eigenartig schimmerndes Licht über dem See und über dem Waldrand im Osten. Morgen, ja es war zweifellos ein Morgen.
    Die beiden Körper im Vordergrund.
    Nackt und sonderbar verdreht. Mit Wunden und Geschwülsten und großen schwarzen Löchern statt der Augen – die dennoch zu starren und eine Anklage zu enthalten schienen. Mädchenkörper. Tote und geschändete Mädchenkörper.
    Dann der Brand. Unten vom Wasser her Feuerzungen, die heranrauschten, und bald bestand das Bild nur noch aus Flammen. Ein ganzes Flammenmeer, das sein Gesicht erhitzte, er wandte sich davon ab und beeilte sich fortzukommen.
    Immer wieder der gleiche kurze Traum. Nicht mehr als eine Sequenz oder ein Tableau. Jetzt schon die dritte Nacht. Und immer wenn das Bild von Wim Fingher auftauchte, war er bereits aufgewacht. Unbarmherzig wach. Der Mörder – der sich während der gesamten Ermittlungen nur einen Steinwurf entfernt vom Tatort befunden hatte und dem er zweimal Aug in Aug gegenüberstand, ohne etwas zu merken.
    Unverzeihlich.
    Das endgültige Zeichen.

    Er stand auf. Öffnete die Balkontür: blasser Himmel, laue Luft, eine fast unmerkliche Brise.
    Ein paar halbherzige Rückenübungen vor dem Spiegel.
    Dann Frühstück und die Allgemejne. Das dauerte so seine Stunde; die Schachspalte mit ihrem Matt in drei Zügen schon eine halbe; es hing an einem Springer, an dieser am schwersten zu bezwingenden Figur auf dem Brett.
    Er duschte, zog sich an und ging hinaus. Wieder so ein reibungsfreier Tag, stellte er fest. Glatt und ohne besondere Kennzeichen, und mit einer Temperatur, die dazu führte, dass man die Luft gar nicht auf der Haut spürte. Nicht viele Leute in der Stadt unterwegs. Ferienzeit – schlimmer war es vermutlich schon im Zentrum: um den Keymer Plejn und den Grote Markt, wo sich die Touristen einzufinden pflegten, aber dorthin wollte er ja nicht.
    Lenkte seine Schritte stattdessen nach Zwille. Überquerte die Langgracht und kam diesmal aus der anderen Richtung in die Kellnerstraat. Es war noch nicht später als elf, und er gönnte sich zuerst einmal bei Yorrick’s ein Bier.
    Saß dort unter einer der Linden und hatte es nicht eilig. Ließ nur seinen Blick schweifen. Die wenigen herumschlendernden Menschen. Die Jugendstilfassaden. Die Laubbäume und der blasse Himmel. Er versuchte innere Stimmen und Zweifel zu erhaschen, fand aber keine.
    Dann soll es also so sein, dachte er. Leerte sein Glas und überquerte die Straße.
    Drückte die Klinke hinunter und trat ein. Eine Glocke über der Tür verkündete sein Kommen. Ein älterer Mann – fast vollkommen weißhaarig und mit einem gut gepflegten Bart im gleichen Farbton – war gerade dabei, eine Karte mit Hilfe eines Vergrößerungsglases zu studieren. Er schaute auf. Nickte freundlich und ein wenig überrascht.
    »Guten Tag«, sagte Van Veeteren. »Ich komme wegen des Schilds im
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