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Der Kommandant und das Mädchen

Der Kommandant und das Mädchen

Titel: Der Kommandant und das Mädchen
Autoren: Pam Jenoff
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Vater hinüber, unsere Blicke trafen sich. Mit einer Hand umfasste er seinen Gebetsschal, mit der anderen klammerte er sich so krampfhaft an der Theke fest, dass seine Knöchel weiß hervortraten. Offenbar rechnete auch er mit dem Schlimmsten.
    “Geh jetzt”, forderte er mich auf, nachdem auch der letzte Kunde mit einem Laib Brot das Geschäft verlassen hatte. Ich kehrte nicht in die Bibliothek zurück, sondern eilte nach Hause. Jakub wartete bereits auf mich, als ich in die Wohnung kam. Sein Gesicht war totenbleich, als er mich in seine Arme schloss.
    Nur zwei Wochen nach Beginn des Einmarsches hatten die Deutschen die polnische Armee überrannt. Von einem Tag auf den anderen fuhren Panzer durch Kraków, und Männer mit verbissenen Mienen marschierten in Uniform durch die Straßen. Die Menschen mussten nicht erst dazu aufgefordert werden, sondern machten ihnen auch so unverzüglich Platz.
    Bald darauf kündigte man mir meine Stelle an der Universität, und wenige Wochen später erfuhr Jakub vom Leiter seiner Fakultät, dass Juden der Besuch von Hochschulen nicht länger gestattet war. Die Welt, wie wir sie kannten, löste sich in Nichts auf.
    Ich hatte gehofft, Jakub würde nach seinem Verweis von der Universität mehr Zeit zu Hause verbringen, doch seine politischen Treffen fanden im Laufe des folgenden Jahres in immer kürzeren Abständen statt. Nun waren daraus Geheimtreffen geworden, die man in Wohnungen überall in der Stadt abhielt. Auch wenn er es nicht aussprach, wurde mir klar, dass diese Zusammenkünfte irgendetwas mit dem Widerstand gegen die Nazis zu tun hatten. Ich wollte ihn bitten und anflehen, damit aufzuhören, da ich entsetzliche Angst hatte, man könne ihn verhaften oder ihm Schlimmeres antun. Allerdings wusste ich, dass meine Sorgen nicht ausreichten, um ihn von seinem politischen Eifer abzubringen.
    An einem Dienstagabend Ende März nickte ich ein, während ich auf Jakubs Heimkehr wartete. Irgendwann später wurde ich wieder wach, ein Blick zur Uhr auf dem Nachttisch ließ mich erkennen, dass es bereits nach Mitternacht war. Er hätte längst zu Hause sein sollen. Hastig verließ ich das Bett und lauschte, doch von meinen eigenen Schritten abgesehen war alles ruhig. Meine Gedanken überschlugen sich. Wie eine Verrückte lief ich immer wieder durchs Haus, im Abstand von wenigen Minuten eilte ich zum Fenster und suchte jedes Mal aufs Neue die Straße nach meinem Mann ab.
    Irgendwann gegen halb zwei in der Nacht hörte ich plötzlich ein Geräusch aus der Küche. Jakub war über die Hintertreppe hereingekommen. Frisur und Bart waren auf eine für ihn ganz untypische Weise zerzaust. Ein dünner Film aus winzigen Schweißperlen bedeckte seine Oberlippe. Zitternd schlang ich meine Arme um ihn. Jakub nahm wortlos meine Hand und führte mich ins Schlafzimmer. Ich versuchte, nichts zu sagen, als er mich auf die Matratze drückte und sich mit einer nie gekannten Verzweiflung auf mich legte.
    “Emma, ich muss fortgehen”, erklärte er mir später in der Nacht, als wir wach im Bett lagen und dem Poltern der Straßenbahnwagen lauschten. Meine vom Liebesakt schweißnasse Haut war im kühlen Dunkel des Schlafzimmers fast getrocknet, und ich verspürte ein leichtes Frösteln.
    Mein Magen verkrampfte sich. “Wegen deiner Arbeit?”
    “Ja.”
    Ich wusste, er meinte damit nicht seine frühere Stelle an der Universität. “Wann?”, fragte ich mit zittriger Stimme.
    “Schon bald … ich glaube, in wenigen Tagen.” Etwas in seinem Tonfall verriet mir, dass er mir nicht alles erzählte, was er wusste. Er drehte sich auf die Seite, sodass er mit seiner Brust an meinen Rücken gepresst dalag und seine Beine zwischen meine schmiegen konnte. “Ich werde Geld für den Fall hierlassen, dass du etwas benötigst.”
    In der Dunkelheit winkte ich ab. “Das möchte ich nicht.” Tränen stiegen mir in die Augen.
Bitte bleib
, wollte ich zu ihm sagen. Ich wäre bereit gewesen, ihn anzubetteln, hätte ich mir sicher sein können, dass es etwas nützte.
    “Emma …” Er hielt inne. “Du solltest besser zu deinen Eltern zurückgehen.”
    “Das werde ich machen.” Wenn du fort bist, fügte ich in Gedanken hinzu.
    “Da ist noch etwas …” Seine Wärme wich von mir, als er sich wegdrehte, um etwas aus dem Nachttisch zu holen. Das Papier mit dem erhabenen Wachssiegel, das er dann vor mich hinlegte, fühlte sich glatt und neu an. “Verbrenn es bitte.” Es war unsere
Kittubah
, unser hebräischer Trauschein. Im
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