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Der Kommandant und das Mädchen

Der Kommandant und das Mädchen

Titel: Der Kommandant und das Mädchen
Autoren: Pam Jenoff
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1. KAPITEL
    A ls wir den weitläufigen Marktplatz überqueren, auf dem sich Tauben rund um die abgestandenen Pfützen scharen, betrachte ich argwöhnisch den Himmel. Ich greife Łukasz’ Hand noch etwas fester, um den Jungen zur Eile anzutreiben. Ein erster Regentropfen verfängt sich in seinen blonden Locken. Gott sei Dank, dass es wenigstens
blonde
Locken sind. Ein schneidender Märzwind fegt über den Platz, und obwohl ich meinen abgetragenen Mantel enger um mich ziehen möchte, wage ich es nicht, den Jungen loszulassen.
    Wir durchqueren den hohen zentralen Torbogen der ausladenden gelben Tuchhalle, die den Platz in zwei Hälften teilt. Bis zum Markt in Nowy Kleparz, am äußersten nördlichen Rand der Krakówer Innenstadt, sind es noch einige Häuserblocks weit, doch ich merke, wie Łukasz schon jetzt langsamer wird. In seinen kleinen Schuhen mit den dünnen Sohlen schlurft er bei jedem Schritt über das Kopfsteinpflaster. Ich überlege, ihn zu tragen, aber er ist jetzt drei Jahre alt, und jeden Tag wird er ein bisschen schwerer. Hätte ich gut gegessen, dann könnte ich ihn vielleicht auf den Arm nehmen, doch so weiß ich: Meine Kräften würden mich nach wenigen Metern verlassen. Wenn er doch bloß schneller gehen würde. “
Szybko, kochany!” Schnell, mein Liebster!
Ich flehe ihn im Flüsterton an. “
Chod´z!”
Er scheint etwas leichtfüßiger zu gehen, als wir uns einen Weg zwischen den Blumenhändlern hindurchbahnen, die im Schatten der Türme der Marienkirche ihre Ware anpreisen.
    Augenblicke später erreichen wir die gegenüberliegende Seite des Platzes, und ich spüre unter meinen Füßen ein vertrautes Dröhnen. Ich bleibe stehen. Seit rund einem Jahr habe ich keine Straßenbahn mehr genutzt, und ich stelle mir vor, wie ich Łukasz in die Bahn hebe und mich dann auf einen Sitz sinken lasse, wie ich die Häuser und die Fußgänger vorbeiziehen sehe. Innerhalb von Minuten wären wir am Markt. Innerlich schüttele ich den Kopf. Die Tinte auf unseren neuen Papieren ist kaum getrocknet, und das völlige Erstaunen, das sich bei Łukasz’ allerersten Fahrt in einer Straßenbahn auf seinem Gesicht abzeichnen muss, würde bei den anderen Leuten nur Argwohn wecken. Ich kann unsere Sicherheit nicht dem Wunsch nach etwas Bequemlichkeit opfern, also gehen wir so schnell weiter, wie es möglich ist.
    Zwar sage ich mir immer wieder, dass ich den Kopf gesenkt halten und jeglichen Blickkontakt mit den Menschen vermeiden sollte, die an diesem Morgen ihre Einkäufe erledigen. Doch ich kann nicht anders und muss alles in mich aufsaugen. Ein Jahr ist vergangen, seit ich zum letzten Mal die Innenstadt besucht habe. Ich atme tief durch. Die von den noch verbliebenen Schneeresten feuchte Luft ist erfüllt vom Aroma gerösteter Kastanien, die an einem Eckkiosk angeboten werden. Plötzlich beginnt der Trompeter im Kirchturm das Hejnalied zu spielen, eine kurze Melodie, die er zu jeder vollen Stunde über den Platz schickt, um an den Einfall der Tataren in Kraków vor vielen Jahrhunderten zu erinnern. Ich widersetze mich dem Wunsch, mich der Richtung zuzuwenden, aus der die Klänge kommen, die mich wie eine alte Freundin begrüßen.
    Als wir uns dem Ende der ulica Floriańska nähern, bleibt Łukasz abrupt stehen und umklammert fester meine Hand. Sein Gesicht, das blass ist von den vielen Monaten, die er in verschiedenen Wohnungen versteckt gehalten wurde, wird noch eine Spur fahler. “Was ist los?”, flüstere ich ihm zu, während ich mich neben ihn hocke, aber er reagiert nicht. Ich folge seinem Blick und erkenne, was er so gebannt betrachtet. Zehn Meter von uns entfernt, am Eingang zum mittelalterlichen Florianstor, stehen zwei deutsche Wachposten mit Maschinenpistolen. Łukasz zittert am ganzen Leib. “Ist schon gut,
kochany
. Es ist alles in Ordnung.” Ich lege meine Arme um seine Schultern, doch nichts kann ihn beruhigen. Seine Augen gehen hin und her, er bewegt den Mund, aber kein Ton kommt über seine Lippen. “Komm her.” Ich hebe ihn hoch, und er vergräbt das Gesicht an meinem Hals. Mein Blick wandert umher, da ich nach einer Seitenstraße Ausschau halte – jedoch vergeblich. Umkehren kann ich nicht, das würde nur Misstrauen wecken. Also hole ich tief Luft und gehe zielstrebig an den Wachposten vorbei, die von uns keinerlei Notiz nehmen. Ein paar Minuten später merke ich, dass der Junge wieder ruhig atmet, und ich setze ihn ab.
    Schon bald haben wir den Markt von Nowy Kleparz erreicht. Mir fällt es
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